Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Tom! Epona geht uns noch durch, wenn sie sich noch mehr aufregt.«
Tom nickte. »Aye, da würden wir bis Kilkenny nicht anhalten, wenn uns deine Stute durchgeht. Aber ich nehme an, Mr Mahoney ist im Lagerhaus.«
»Ist er nicht. Er ist in seinem Club.«
»Ist er nicht. Es ist schon zwei vorbei.«
Rhias Herz schien ins Bodenlose zu fallen. Der Club schloss um Mitternacht. »Dann ist er zum Kai gegangen, um die Arbeit der Feuerwehrmänner zu beaufsichtigen.« Das war doch eine überzeugende Erklärung. Warum dann diese dunkle Furcht?
Der Himmel über dem Hafenviertel war so hell, als würden alle Heiligen Dublins ihre Laternen über dem Merchant’s Quay schwingen. Sie bogen um die Kurve der letzten Gasse, und Rhia bereitete sich innerlich auf den Anblick des gesamten Kais in Flammen vor.
Doch nur das Lagerhaus der Mahoneys brannte. Und das war irgendwie noch vernichtender.
Rhia sprang vom Wagen, noch ehe die Räder zum Stillstand gekommen waren. Wenn ihr Vater hier war, dann würde er in der vordersten Reihe stehen. Er würde bei der Polizei sein. Sie drängelte sich durch die Menge der Schaulustigen, deren Gesichter von den Flammen unheimlich beleuchtet wurden, bis sie ganz nahe beim Feuer war. Eine Wand aus Flammen loderte von den steinernen Grundfesten empor, wo gestern noch eine rote Ziegelmauer gestanden hatte. Die Luft war voller giftiger Rauchschwaden, die Hitze atemberaubend. Der Kai war beleuchtet wie ein Jahrmarkt. Auch am gegenüberliegenden Ufer hatten sich Leute versammelt, um zuzusehen.
Ihren Vater konnte sie nicht entdecken.
Rhia drängte sich zwischen den Grüppchen aus Schaulustigen hindurch und versuchte, durch die Polizeiabsperrung, die die Menge zurückhielt, hindurchzuspähen. Ihr Blick suchte die Gesichter der Männer entlang des Wassers ab. Er musste auf der anderen Seite sein, näher beim Lager, aber dazu würde sie an der Polizei vorbeimüssen. Sie schob sich am Rand der Menge entlang, so dicht sie nur konnte, ohne verbrannt zu werden. Vielleicht wäre sie noch näher herangekommen, wenn sie nicht jemand am Handgelenk gepackt und dabei die Haut verdreht hätte wie ein Seil. Plötzlich befand sich die derbe, ungewaschene Wolle einer Polizeiuniform direkt vor ihrem Gesicht.
» Tuilli! «, zischte sie, ehe ihr die Abmachung mit dem Heiligen wieder einfiel. Vielleicht zählte ein Fluch auf Irisch ja nicht?
»Wen nennst du hier einen Bastard, du kleine Zigeunerin?« Die Miene des Polizisten war ekelerregend. Rhia hielt seinem Blick stand und versuchte, ihren Arm zu befreien, aber seine Finger bohrten sich nur noch tiefer in ihr Handgelenk.
»Lassen Sie mich los, oder ich beiße!«, fauchte sie ihn an.
Die Andeutung eines Lächelns umspielte die Lippen des Polizisten. »Ich würde lieber nicht zu nahe an ein brennendes Gebäude rangehen. Das könnte schneller einstürzen, als dich deine Füße tragen.« Der Griff seiner Hand wurde eng wie ein Henkersknoten, als sie versuchte, sich ihm zu entwinden. Er war stark.
» Bitte! Das Gebäude gehört meinem Vater. Ich suche ihn.«
»Sie sind doch nicht etwa das Mahoney-Mädel, oder?« Die gerunzelte Stirn und der rasche, abschätzende Blick sagten alles. Ihre Haare sahen bestimmt aus wie ein Rattennest – wie immer, wenn sie geschlafen hatte –, und ihr Mantel war nicht gerade modisch. Außerdem waren ihre Füße nackt, wie sie jetzt erst bemerkte. Das dunkle Aussehen der »Schwarzen Iren« hatte sie von der Familie ihrer Mutter, die für irische Katholiken in etwa dasselbe wie Zigeuner waren. Man glaubte, deren Seelen seien ebenso dunkel wie ihr Äußeres. Ab und zu war das ganz praktisch.
»Ein mutiger Polizist ist rein, sucht nach Ihrem Vater. Schon seit ’ner Stunde.« Eine Stunde. Die Worte pressten die Luft aus Rhia wie ein Bleikorsett. Die Hand des Polizisten hielt sie aufrecht.
»Sie meinen, er ist …« Sie konnte es nicht aussprechen.
Der Mann nickte grimmig. Offensichtlich erwartete er das Schlimmste.
Sie sollte beten. Aber St. Patrick hatte die alte Religion aus Irland vertrieben und den Frauen ihre Rechte genommen. Das sagte jedenfalls Mamo. Und Mamo würde ihr nicht raten, zu einem Heiligen zu beten. Sie würde sagen, dass das Feuer als Element Angelegenheit der geisterhaften Geschöpfe der Anderswelt war. Connor Mahoney sagte, Mamo sei ein gottloser Mensch gewesen, doch für ihre Enkelin waren die Geschichten ebenso glaubwürdig wie die unbefleckte Empfängnis und ein unsterblicher Zimmermann.
Als hätte Rhia sie aus der
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