Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
den Entwurf zu neuem Leben zu erwecken, aber er wirkte immer noch so verknittert wie changierende Seide, und jetzt reichte das Licht nur noch, um Staubmuster einzufangen. Auch dafür gab sie William die Schuld.
Es wäre ein guter Tag gewesen, wo sie doch das Vorderzimmer ganz für sich gehabt hatte, wenn er nicht vorbeigekommen wäre. Die Frage war, ob sie ihrem Vater davon berichten sollte. Musste sie? Vielleicht würde er ja verstehen, dass sie William hatte erzählen müssen, was vor all den Jahren passiert war? Es war unwahrscheinlich. Wahrhaftigkeit war, laut Connor Mahoney, die heiligste aller Tugenden, und Schweigen fast gleichbedeutend mit einer Lüge. Dies war die Sprache, mit der ihr Vater herumfuchtelte, seit Rhia klein war. Sie war schon immer gut darin gewesen, sein Missfallen zu erregen. So war sie zu dem Schluss gekommen, dass Diskretion christliche Ehrlichkeit noch übertraf, und sie besaß weder das eine noch das andere.
Draußen läutete ein Kutschenglöckchen, und Rhia wünschte sich nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag, bei ihrer Mutter im Cottage der Großmutter in Greystones zu sein. Dort würde sie barfuß am Strand entlangspazieren und dem Meer und den Möwen lauschen. Doch sie war hier, in Dublin, und erwartete den Groll ihres Vaters.
Wie als Antwort war das Klappern von Connor Mahoneys Stiefel auf der Treppe zu hören.
Rhia streifte ihren Malkittel ab. Sie ging zum großen Fenster hinüber und glättete im Spiegelbild ihr Haar, ehe sie an den Kamin zurückkehrte. Es bestand gar keine Notwendigkeit, ihm zu sagen, dass sie William verärgert hatte. Es würde sich alles in Wohlgefallen auflösen, und sie würden nächsten Sommer heiraten wie geplant. Der Zeitpunkt, an dem sie noch ein Mitspracherecht in solchen Angelegenheiten gehabt hätte, war vorbei. Die Wahrheit war, dass niemand sonst um sie geworben hatte, und auch sie hatte sich nicht verliebt. Oder war es eher so, dass sie bloß nicht der Illusion von Liebe erlegen war? Rhia sah sich fröstelnd nach ihrem Schultertuch um, als wäre die Luft bei diesem Gedanken plötzlich abgekühlt. Mamo verabscheute Zynismus.
Connor Mahoneys Stimme erklang im Hausflur, wo er leise mit Hannah sprach. Rhia hob ihr Schultertuch auf, das zu Boden geglitten war, und wandte sich dem Feuer zu, so dass sie mit dem Rücken zur Tür stand. Sie blickte in die tanzenden Flammen in der Hoffnung, deren lässige Gleichgültigkeit möge auf sie abfärben. Er war schlecht gelaunt, das konnte sie schon durch die Mauer hindurch spüren. Wie immer machte ihr das nicht wirklich etwas aus, obwohl sie den Verdacht hegte, dass es das eigentlich tun sollte. Jedenfalls war jetzt möglicherweise nicht der geeignete Zeitpunkt, ihm zu erzählen, dass sie ihren Verlobten beleidigt hatte.
Die Tür öffnete sich.
»Rhia.« Seine Stimme klang angespannt.
Sie drehte sich gefasst um. »Vater.«
Sein Gesicht war gerötet und sein Mund verkniffen. Er sah älter aus heute, obwohl seine Figur straff war und sein Haar immer noch wie Kupfer leuchtete. Er hielt ihr ein gefaltetes Stück dickes Papier hin. »Ich habe einen Brief von Mr O’Donahue bekommen.«
Damit hatte Rhia nicht gerechnet. »Von Mr O’Donahue?« Ihre Stimme war unnatürlich hoch. William hatte anscheinend sofort geschrieben, nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte.
»Er hat sein Angebot zurückgezogen«, erklärte ihr Vater.
»Sein Angebot! Ich werde hier wie … Ware gehandelt!« Die Flammen hatten ihr das Feuer, nicht die Anmut verliehen. Rhia ballte die Hände zu Fäusten und atmete dann tief durch. Plötzlich war ihr nach Lachen zumute. Das sollte sie sich jedoch besser verkneifen. Also studierte sie stattdessen angestrengt das Muster des Perserteppichs. Leider erinnerte sie das an ihren erfolglosen Nachmittag – Perser konnten Muster entwerfen, die den Füßen einer Göttin würdig waren.
»Bis du verheiratet bist, giltst du als mein Besitz , und ich werde nicht zulassen, dass du zu einer Bürde für diesen Haushalt wirst.« Er erstickte fast an den Worten, und sie trafen Rhia bis ins Mark. Nie zuvor hatte ihr Vater so etwas gesagt. Noch nie hatte er sie eine Bürde genannt. Er war wütend. Es würde ihm leidtun. Es kostete sie ihre ganze Willenskraft, nicht zurückzufauchen, aber sie würde nur das Falsche sagen. Er würde begreifen, dass sie keine Reue verspürte und eher erleichtert war denn beschämt.
Er schritt zwischen dem Zuschneidetisch und den wandhohen Regalen, in denen die Stoffe
Weitere Kostenlose Bücher