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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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Freundliches Entgegenkommen gab es nicht mehr.
    Er spielte mit der Möglichkeit, einen anderen Laden zu mieten. Das würde eine beträchtliche Investition für eine neue Einrichtung bedeuten, doch wenn sein Sohn ihm zur Seite stünde, wäre das ein durchaus logischer Schritt. Diese Hoffnung allerdings, das war ihm jetzt klar, war nichts weiter als ein schöner Traum gewesen und jetzt, nach dem kurzen Besuch des Sohnes zu Hause, noch weniger wahrscheinlich geworden. Er musste einsehen, dass er allein, zweiundsechzig und zu alt war, um ein neues Geschäft zu eröffnen.
    Flüchtig dachte er daran, noch einmal mit Kaplan zu sprechen und ihn zu bitten, er möge es sich doch überlegen oder ihm die Möglichkeit geben, seine Bitte direkt an den Vorstand der Synagoge zu richten. Aber warum sollten sie besondere Rücksicht auf ihn nehmen, wo er noch nicht einmal Gemeindemitglied war?
    Zunächst stand er vor dem schweren Problem, was er seiner Frau sagen sollte. In Gedanken übte er den Tonfall und die Haltung, die er bei seiner Erklärung annehmen wollte. Er durfte sie keinesfalls merken lassen, wie tief getroffen er eigentlich war. «Ach, weißt du, es ist wohl ganz gut so. Ich habe mein Leben lang hart gearbeitet, jetzt ist es Zeit, dass ich mich ein bisschen ausruhe. Vielleicht machen wir eine Reise, und mit meiner Sozialversicherung und deiner und mit unseren Ersparnissen müssten wir ganz gut auskommen. Vielleicht nehme ich eine Teilzeitarbeit an, damit ich etwas zu tun habe. Ich gebe zu, freiwillig hätte ich nicht verkauft, aber da es nun mal so gekommen ist, bin ich im Grunde froh darüber.» Doch würde sie ihm überhaupt glauben?
    McLane erschien kurz nach zwölf Uhr, und Aptaker gab ihm ein paar Anweisungen, um schließlich in die Rezeptur zu gehen und den Lunch zu essen, den Rose ihm jeden Tag mit ins Geschäft gab.
    Er aß hastig, wie immer, wenn er im Laden war, nahm große Bissen von seinem Sandwich und spülte sie mit großen Schlucken Kaffee herunter. Als er fertig war, spürte er, wie schon ein paar Mal, einen Knoten in seiner Brust. Langsam trank er ein Glas Wasser; das brachte ihm eine gewisse Erleichterung. Er wollte aufstoßen, konnte es aber nicht. Schließlich gab er dem dumpfen, anhaltenden Schmerz nach und löste in einem Glas ein wenig Natriumcarbonat auf. Nun konnte er wenigstens aufstoßen, doch die Erleichterung war nur vorübergehend. Beinahe sofort kehrte der Druck in seiner Brust zurück.
    McLane beobachtete ihn mit Besorgnis. «Haben Sie Sodbrennen? Hier, nehmen Sie eine davon.» Er holte eine Blechdose von der Theke, wo die nicht rezeptpflichtigen Heilmittel verkauft wurden. «Die sind gut. Ich habe sie selbst ausprobiert.»
    Marcus zerkaute eine Tablette und dann eine zweite, und abermals spürte er vorübergehend Erleichterung; doch abermals kehrte der Druck zurück. Ihm kam der Gedanke, Schmerz und Druck könnten vielleicht vom Herz kommen statt nur vom Sodbrennen. Darum öffnete er, als McLane nicht herübersah, schnell eine kleine Flasche mit Nitroglyzerintabletten und legte sich eine der winzigen Pillen auf die Zunge. Sofort war ihm, als krampfe sich sein ganzer Kopf zusammen. Das dauerte jedoch nicht lange, und als es vorbei war, war auch der Schmerz in seiner Brust vergangen.
    Etwa eine Stunde lang fühlte er sich völlig normal, dann war der Druck plötzlich wieder da. Vor Schmerz verzog er das Gesicht und schob sich verstohlen eine weitere Tablette unter die Zunge. Wieder kam die große Erleichterung, aber er merkte, dass er schwitzte, und war überzeugt, dass er leichenblass war.
    Normalerweise hätte Marcus gegen zwei Uhr das Geschäft verlassen, doch seine Frau hätte sofort gesehen, dass es ihm nicht gut ging, und sich Sorgen gemacht. Aus reiner Fürsorge hätte sie ihn mit endlosen Fragen bombardiert: Ist im Laden was passiert? Hattest du Streit mit McLane? Gab es Schwierigkeiten mit einem Kunden? Wenn er ihr dann von dem Brief erzählte – und früher oder später würde er das müssen –, hätte sie mit ihrer weiblichen Logik eine Verbindung mit diesem gegenwärtigen Unwohlsein vermutet. Und er hätte sie niemals überzeugen können, dass die Aufgabe des Geschäfts ihm nichts weiter ausmachte. Deswegen beschloss er, bis nach dem Abendessen im Laden zu bleiben, sich aber möglichst nicht anzustrengen. Er würde heute früh zu Bett gehen, und wenn er sich ausgiebig ausgeschlafen hatte, würde er morgen früh wieder vollkommen in Ordnung sein. Gewiss, solange Kunden vorn im

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