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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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hat gebeten, ihn drei Monate zu beurlauben, und das haben sie ihm bewilligt.» Harvey Kanter schwang ein Bein über die Sessellehne, fuhr sich durch das dichte eisengraue Haar und richtete die hervorstehenden blauen Augen auf seinen Schwager Ben Gorfinkle. «Was ist daran schofel?» Harvey war gute zehn Jahre älter als Gorfinkle, ein Fünfziger, und mit der älteren der beiden Schwestern verheiratet. Er neigte dazu, seinen Schwager zu begönnern, genau wie seine Frau ihre jüngere Schwester. Als Chefredakteur des Times-Herald von Lynn, einer Lokalzeitung, die Nachrichten von ernstester nationaler oder internationaler Bedeutung mit einem knappen Einspalter abhandelte, während sie der Vorstandswahl im örtlichen Frauenverein zwei Kolumnen widmete, vertrat er in seinen Leitartikeln die engherzigen, konservativen Ansichten der besitzenden Schicht und Wähler der Republikanischen Partei. Im Privatleben aber war er radikal, Atheist und durch und durch respektlos – vor allem, wenn es sich um die Beziehung seines Schwagers zur jüdischen Gemeinde von Barnard’s Crossing handelte, die ihn überaus amüsierte.
    «Aber ohne Bezahlung, und der Mann kann nicht viel Geld gespart haben.»
    «Du hast doch gesagt, der Rabbi habe das ausdrücklich gewollt.»
    «Ich sagte, Marty Drexler hat gesagt, dass er das wollte», berichtigte Ben.
    «Und du meinst, dieser Drexler hat gelogen? Das ist doch der Geldverleiher, oder?»
    «Great Atlantic Finance. Nein, ich glaube nicht, dass er gelogen hat. Das hätte rauskommen müssen. Aber jemand wie Marty Drexler könnte den Rabbi sehr wohl in eine Position hineinmanövrieren, wo ihm gar nichts anderes übrig bleibt, als auf die Bezahlung zu verzichten. Ungefähr so: ‹ Wollen Sie damit sagen, Rabbi, dass Sie drei Monate frei nehmen möchten, und wir einen Stellvertreter engagieren und Sie auch noch bezahlen müssen – dafür, dass Sie nichts tun?› Das wäre ihm zuzutrauen.»
    «Na ja, der Rabbi ist immerhin erwachsen und sollte imstande sein, selber seine Interessen zu vertreten.»
    «Was Geld und Geschäft angeht, ist er tatsächlich sehr naiv.» Ben schüttelte den Kopf. «Einen Vertrag auf Lebenszeit und ein Sabbatjahr hätte er haben können. Der Vorstand hätte das bewilligt, wenn er’s verlangt hätte.»
    «Damit warst du einverstanden?» Harvey sah seinen Schwager an.
    «Das hat ihm jedenfalls der Vorstand letztes Jahr anbieten wollen», entgegnete Ben. «Aber das war zu Ende der Amtsperiode, und weil’s um einen Vertrag auf Lebenszeit ging, fanden wir, damit sollte sich der neue Vorstand befassen. Natürlich dachten wir, der neue Vorstand würde nicht viel anders aussehen als der alte. Jedes Jahr wird Spreu ausgesondert, verstehst du, und man nimmt ein paar neue Leute dazu, aber im Prinzip ändert sich nicht viel. Nur hat diesmal die Clique Raymond-Drexler ’ne ganz neue Vorschlagsliste aufgestellt, und sie sind damit durchgekommen.»
    «Wie haben sie denn das gedeichselt?»
    «Pass auf. Einmal war die Gemeinde Mitte vorigen Jahres ziemlich gespalten. Da gab’s meine Clique und die von Meyer Paff. Wir hatten natürlich die Mehrheit, allerdings eine sehr kleine. Und dann sind unsere Kinder in den Schlamassel geraten. Das hat uns ziemlich durcheinander gebracht. Offen gestanden hatten wir danach kein großes Interesse daran, uns um die Führung in der Gemeinde zu reißen. Viele von uns hat die Geschichte quasi ernüchtert, glaube ich. Jedenfalls haben wir nicht übermäßig gekämpft.»
    Der skeptische Blick seines Schwagers veranlasste Ben zu einer ausführlichen Begründung. «Wir waren der Meinung, wir brauchen uns gar nicht so sehr anzustrengen. Die Leute um Raymond-Drexler sind noch jung, dachten wir, unter fünfunddreißig, und alle verhältnismäßig neu in der Gemeinde – die meisten gehörten erst zwei oder drei Jahre dazu –, na, und da haben wir uns eben eingebildet, sie würden nicht weit kommen. Aber im Lauf der Jahre hat diese Altersgruppe in der Gemeinde an Zahl zugenommen. Wahrscheinlich gibt es jetzt mehr von ihnen als von uns Älteren. Die Kinder wachsen heran, die Leute setzen sich heutzutage viel früher zur Ruhe, es gibt ’ne Menge Gründe …»
    Harvey sah immer noch nicht überzeugt aus. Ben legte sich ins Zeug:
    «Der Tempel ist von Jake Wasserman und Al Becker und solchen Leuten ins Leben gerufen worden, als sie schon gut bei Jahren waren. Sie hielten auf Tradition, und deshalb war die Synagoge wichtig für sie. Für Wasserman mal auf jeden Fall, er

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