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Am Montag flog der Rabbi ab

Am Montag flog der Rabbi ab

Titel: Am Montag flog der Rabbi ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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hinausmanövrieren?» Harvey war bemüht, dem Gedankengang seines Schwagers zu folgen.
    «Das, und … na ja …» Ben sah weg. «Also ich möchte nicht, dass er gekränkt wird.»
    «Ist das alles?» Harvey lachte und stand auf. «Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Solche Menschen, Menschen mit persönlicher Integrität, können durch Leute wie Drexler nicht gekränkt oder verletzt werden.»

5
    Der junge Absolvent des Seminars kam eigentlich von Anfang an nicht ernstlich infrage. Zunächst – weshalb wollte er überhaupt herkommen? Warum sollte er bei dem großen Bedarf an Rabbis eine Vertretung übernehmen, wenn er eine feste Anstellung bekommen konnte? «Er sagte, er möchte sich erst mal ’ne Zeit lang umschauen.»
    «Na, und kann er das denn nicht in einer festen Stellung? Kein Mensch kann ihn mit Gewalt festhalten, wenn er nach ’ner Weile lieber woanders hingehen will! Ich sag euch, warum er auf diesen Job scharf ist: Es muss daran liegen, dass er keinen anderen kriegen kann. Und warum sollen wir uns um so jemand reißen? Außerdem hat er einen Bart. Das haben wir nötig – einen Rabbi mit Bart!»
    «Und seine Frau – habt ihr die gesehen? Die Augen bemalt wie ein Waschbär und das Kleid gerade bis zum pupek !»
    Rabbi Harry Shindler machte dagegen einen ganz anderen Eindruck. Ein Mittvierziger von gewinnender und trotzdem starker Persönlichkeit. Der Haupteinwand gegen ihn bestand darin, dass er seit Jahren kein Rabbinat mehr innegehabt hatte. Shindler erklärte das mit entwaffnender Offenheit. «Das lag an Folgendem: Als ich vom Seminar kam, bot man mir in einer großen Gemeinde in Ohio die Stellung als Mitarbeiter des Rabbi an. Es hieß, der Rabbi würde sich in ein bis zwei Jahren zur Ruhe setzen, dann könnte ich seine Stellung haben. Bitte, ich war nicht bloß Assistent. Ich hatte den Titel eines beigeordneten Rabbi. Mitte des zweiten Jahres wurde der Rabbi krank, und ich vertrat ihn in den restlichen Monaten. Ja, und als es dann Anfang des nächsten Jahres Zeit wurde, einen neuen Vertrag auszuhandeln, erklärte eine Gruppe im Vorstand, sie brauchten einen älteren Mann, aber ich könnte als Assistent bei gleichem Gehalt bleiben. Es war tatsächlich ein Ein-Mann-Job, und sie ließen mich nur einspringen, weil der Rabbi es eben aus Gesundheitsrücksichten nicht machen konnte.
    Nun hat ein Mann doch in erster Linie Verpflichtungen seiner Familie gegenüber – ich meine, ich hatte Frau und Kinder –, und das Gehalt als Assistent des Rabbi reichte einfach nicht aus. Eins möchte ich allerdings mit aller Deutlichkeit sagen – es lag nicht an der Gemeinde. Und den Vorstand traf auch keine Schuld. Es war eben eins von den Missverständnissen, die gelegentlich vorkommen. Vielleicht war es auch meine Schuld, weil ich nicht alles schwarz auf weiß fixiert habe, die Gemeinde jedenfalls halte ich nicht für verantwortlich.»
    Diese beharrliche Beteuerung, die Gemeinde sei nicht im Unrecht, machte auf die Kommission großen Eindruck.
    «Und so nahm ich den Job als Verkäufer an und habe es keine Sekunde bereut. Manchmal glaube ich sogar, es wäre gar nicht schlecht, wenn sämtliche Absolventen des Seminars ein bis zwei Lehrjahre in einem kaufmännischen Beruf ableisteten, damit sie sich eine Vorstellung machen können, wie die Mitglieder ihrer Gemeinde denken, was sie beschäftigt, was sie ärgert, was für Probleme sie haben. Ich glaube, die meisten Rabbis haben keinen Kontakt zum täglichen Leben, und das heißt von meinem Standpunkt aus – keine Beziehung zur Realität.»
    «Wie meinen Sie das, Rabbi?»
    «Nehmen Sie die Sache mit unseren Feiertagen. Vorwiegend sind es zwei, und die meisten Rabbis legen ziemlichen Wert darauf, dass der zweite eingehalten wird. Da ich selber im Geschäftsleben stand, weiß ich, dass es manchmal fast unmöglich ist, den zweiten Feiertag freizunehmen. Also kann ich es verstehen und nachfühlen, wenn eins der Gemeindemitglieder, etwa ein großer Geschäftsmann, beim besten Willen am zweiten Tag nicht in die Synagoge gehen kann. Und ich mache ihm das nicht zum Vorwurf. Ich vertrete nicht den Standpunkt, weil er vielleicht dem Gemeindevorstand angehört, müsse er nun unbedingt an beiden Tagen erscheinen.»
    Allgemeines beifälliges Nicken. Dadurch ermutigt, fuhr Rabbi Shindler fort: «Ich hatte mich entschlossen, die Probe aufs Exempel zu machen. Wenn Gott mich berief, ihm dadurch zu dienen, dass ich mich kaufmännisch betätigte, würde ich so lange

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