Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
hatte John ebenfalls von seinem Vater geerbt. Es hatte schon schärfere Strafen gegeben in der Medway Junior School in Leicester.
Die Schule, einen zweiminütigen Spaziergang von der Straße entfernt, in der die Familie Sperry lebte, war alles andere als eine Kaderschmiede für gesellschaftliche Aufsteiger. Aber die Lehrer waren engagiert und interessierten sich für ihre jungen Schützlinge. Qualitäten wie Fleiß und Disziplin, die auch in dieser Innenstadt-Schule gefordert wurden, gehörten nicht unbedingt zu John Sperrys Lieblingstugenden. Er schlug sich aber tapfer durch und verließ die Schule mit einem Gefühl der Befreiung im zarten Alter von 14. Ein paar Fakten hatte er sich auf jeden Fall gut gemerkt. Dank des »British Empires« waren auch Kinder der Unterschicht damals in Erdkunde und Weltgeschichte bestens geschult. Zum Beispiel wusste er, dass große Gebiete nördlich von Amerika zu diesem Empire gehörten, die von einer Dauerschicht aus Schnee und Eis verhüllt waren, und dass sogar Menschen dort lebten. Diese Vorstellung strahlte einen Hauch Romantik aus und das ferne Volk, dessen Schneehäuser sie als schwarz-weiße Zeichnungen in Bilderbüchern abgebildet fanden, erweckte in John und seinem jüngeren Bruder Roy eine endlose Faszination. Manch einen trüben Winterabend verbrachten sie damit vor dem Kamin ihrer winzigen, aber behaglichen Wohnstube und bauten aus den damals für die Haushalte handelsüblichen Salzblöcken »Iglus«.
John bekam nach Abschluss seiner Schulzeit einen Job in der Filiale einer Supermarktkette, wo er »Junge für alles« spielte, Vorräte per Fahrrad überall in der Stadt auslieferte und sich freuen durfte, fürs Erste eine Arbeitsstelle auf Lebzeiten zu haben.
Kindheit in Mittelengland
Durchschnittlicher und unspektakulärer ging es nicht. Die Kulisse: das »Highfields« genannte Viertel, eine eintönige Serie von einfachen Backsteinhäusern, aneinandergereiht, die alle gleich aussahen. Das Einzige, was sich farblich von dem allgegenwärtigen Grau abhob, waren die Schornsteine der Textilfabriken, die emporragten wie ein Wald von Dominosteinen und unablässig dunklen Rauch in die Luft spuckten. Das malerische Rot der typisch englischen Backsteinfassaden hatte sich schon längst in verschiedene Schwarz- und Grautöne verwandelt, dank allgegenwärtiger Rußwolken.
Die Stadt: Leicester, industrielles Mittelengland. Nicht gerade die Gegend, in die man Touristen aus dem Ausland führen würde, um gesunde Luft einzuatmen und die Reize Großbritanniens zu besichtigen.
Selbst die paar Sonnenstrahlen, die sich ab und zu einen Weg durch den Dunst bahnten, hatten einen gräulichen Anstrich. Die kleinen Rasenvierecke hinter den Häusern, durch hohe Mauern voneinander getrennt, waren wie durch nebelige Schleier hindurch gerade noch als Grün erkennbar. Die flache, farblose Landschaft schien niedergedrückt von einem bleiernen Himmel. Erst außerhalb der Stadt stieß man nach und nach auf kleine malerische Dörfer, die typisch englisch anmuteten.
William Sperry, geboren 1902 in Leicester, hatte nur indirekt mit den Textilien zu tun, von denen diese betriebsame Metropole lebte. Nach einer Ausbildung als Schuhmacher war er eine Zeit lang arbeitslos, dann bekam er eine provisorische Anstellung als Putzkraft.
Während dieser mageren Jahre stopfte seine Frau Elsie Strümpfe für wohlhabende Familien. Ihre beiden Söhne saßen zu ihren Füßen und krempelten die Strümpfe um, bevor Elsie sich mit Nadel und Faden über sie hermachte. Auf diesem mühsamen Weg legte die Familie nach einiger Zeit die stolze Summe von 100 Pfund beiseite. Weitere 100 wurden von den wohlwollenden Großeltern ausgeliehen. Ausgestattet mit einem Schuss Ehrgeiz und einer gehörigen Portion Hartnäckigkeit machte sich William Sperry an die riskante Aufgabe, eine Schuhfabrik zu gründen. Ein Schritt, der in seiner familiären Umgebung befremdlich wirkte und bei vielen Kopfschütteln auslöste.
William und Elsie Sperry, mittellos und mit gerade einmal 22 Jahren verheiratet, hatten die ungewöhnliche Gabe, mit dem wenigen zufrieden zu sein, das sie besaßen, und dennoch für die Möglichkeit offen zu sein, dass das Leben mehr bieten konnte. Bald nach der Heirat waren ihnen zwei kleine Jungs geschenkt worden, John Reginald, der 1924 auf die Welt kam, und Roy Edward, anderthalb Jahre später geboren, im gleichen Jahr wie die spätere Queen. Damals war es üblich, dass Eltern ihren Kindern durch die Namen einen
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