Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Alkohol über die Lippen gleiten lassen durfte, stand für sie außer Frage. Für William Sperry war diese Strenge eine unwiderstehliche Einladung, gerade im Hause seiner Schwiegereltern von seinem neuesten Abstecher in das örtliche Pub zu erzählen. Zu allem Übel war er sein Leben lang auch noch ein stolzer Kettenraucher und erntete dafür in der Familie Priest manch einen bösen Blick und schneidenden Kommentar. Zu jeder Zeit ganz die feine, gepflegte englische Dame, duldete Elsie die rauen Manieren ihres Mannes mit Milde.
An den anderen Sonntagen wurden die Sperry-Großeltern besucht. Williams Pubbesuche waren harmlos im Vergleich zu denen seines Vaters, dem ein gelegentlicher Besuch beim Männerstammtisch längst nicht mehr genügte. Er war Gewohnheitstrinker.
Von Großmutter Sperry, die die Ausschweifungen ihres Mannes mit ihren übereifrigen Kirchgängen wiedergutzumachen versuchte, bekamen die Jungs ebenfalls eine kräftige Dosis Frömmigkeit mit auf den Weg, ohne jedoch einen Penny dafür zu bekommen. Sie zitierte nämlich aus ihrem Gebetbuch so inbrünstig, wie ihr Mann seine Kneipenlieder schmetterte. Unter ihren scharfen Augen machten die zwei Enkelsöhne ihre erste Bekanntschaft mit der anglikanischen Sonntagsliturgie, lernten das Apostolische Glaubensbekenntnis auswendig und rezitierten Psalmen im Wechselchor. Während Jack mit aller Macht versuchte, in der Kirche still zu sitzen und keinen Quatsch zu machen, kam ihm nie der Gedanke, er könne eines Tages diese ehrwürdigen Texte in eine der kompliziertesten Sprachen der Welt übersetzen. Er war der Extrovertierte der beiden Brüder. Sein lebenslanges Markenzeichen: ein schelmisches Funkeln in den Augenwinkeln, wenn er mal wieder in irgendeinen Streich verwickelt war. Roy war das sensible und nachdenkliche Gegenstück, der Schatz seiner Mutter, die ihn liebevoll »Roy-Boy« nannte.
Es war eine Kindheit der betonten Bescheidenheit, in der sich die rabiaten Töne einer derben Kneipenkultur aus den hintersten Gassen mit einem Schuss Eleganz und geerbter Religiosität mischten, die eher von den Damen der Familie kam. Diese bizarre Mischung mit ihrer Heuchelei fiel den Jungs nicht negativ auf. Etwas anderes kannten sie nicht.
Die gesellschaftlichen Schichten in Großbritannien hatten damals ihre eigenen eisernen Regeln. Kein Kind aus Highfields wäre jemals auf die Idee gekommen, einen Universitätsabschluss machen zu wollen. Die groben Klänge des Leicester-Dialekts, damals schon als hässlichster aller britischen Akzente berüchtigt, stigmatisierte auf Anhieb jeden, der ihn sprach, als Bewohner der Arbeiterstadt. So ergaben sich Bildung und gute Manieren bei Jack und Roy eher als Begleitumstände und zufällig, und der spätere soziale Aufstieg der Sperry Family war alles andere als angestrebt. Bei alledem besaß William Sperry eine sprachliche Spritzigkeit, die jeden Gegner in Staub und Asche verwandeln konnte. Seine stechenden blauen Augen sprühten vor Neugier und Witz, er war auch in seiner äußeren Erscheinung auffällig. Sein blonder Lockenschopf machte ihn stattlicher als er in Wirklichkeit war, und sein unwiderstehlicher Blick konnte Wut und Strenge mit der gleichen Schlagkraft ausstrahlen wie Esprit und Lebenslust. Seine Mitarbeiter in der Schuhfabrik fürchteten ihn, seine Söhne verehrten ihn. Die reife Variante seiner verspielten Art machte ihn Jahre später zum beliebtesten aller Großväter.
Elsie mit ihren sanften und dunklen Rehaugen war seine perfekte Ergänzung. Sie ließ sich nie aus der Ruhe bringen. Die kombinierte Liebe dieser zwei für ihre Söhne war das wertvollste Geschenk, das sie den beiden jungen Männern auf ihren Lebensweg hatten mitgeben können.
Kriegssirenen und Marschbefehle
Mr Adolf Hitler konnte man, entgegen der Hoffnung von Mr Grattidge, leider nicht allzu lange »beiseitelassen«. Hätten die sorglosen Schüler der Medway School gewusst, wie viele von ihnen das Erwachsensein nie erleben würden, hätten sie ihren Mr Grattidges und Co. sicher mehr Wertschätzung entgegengebracht.
»Jack, Roy, quick! Sirens! To the air raid shelter!«
Leicester mit seinen Textilmanufakturen war nicht das Hauptziel der deutschen Luftwaffe. Strategisch wichtiger waren militärische Stützpunkte in Coventry, Birmingham, Liverpool, Sheffield und natürlich London. Aber ab und zu wurde auch Leicester, direkt in der Fluglinie zwischen Ärmelkanal und Liverpool gelegen, von einer willkürlich abgeworfenen Bombe getroffen.
»Ach,
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