Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
1957), besonders was die Beschreibungen des Klimas, der Flora und Fauna der Arktis betrifft. Ich habe außerdem einige Namen von Einheimischen und anderen Freunden geändert, um ihre Identität zu schützen.
Uncle Jack kann sich nicht mehr an jedes Detail, das in diesem Buch beschrieben ist, erinnern. In diesen Fällen habe ich nach bestem Wissen und Gewissen aus den Erinnerungen anderer geschöpft. Ich danke allen Familienmitgliedern und Freunden, die mir dabei geholfen haben.
Vor allem aber danke ich meinem Uncle Jack selbst und seiner inzwischen verstorbenen Frau Betty, die für mich schon immer nichts Geringeres als Helden waren.
Nicola Vollkommer
Reutlingen
März 2011
Prolog
»Wenn du einem Kind etwas über Gott beibringen möchtest, dann liest du ihm Bibelgeschichten vor oder nimmst es in einen Kindergottesdienst mit«, sagt John Sperry Junior, wenn er nach den prägendsten Erinnerungen an seine Kindheit in der Arktis gefragt wird. »Wenn du ihm die Größe Gottes sichtbar demonstrieren möchtest, erlebe mit ihm zusammen den magischen Moment, wenn die arktische Sonne in ihrer betörenden Farbenpracht unter den Horizont sinkt. Erzähle ihm, dass Gott sich für seine Sonnenuntergänge in der Arktis besonders viele Gedanken macht. Zeige ihm, wie die Wolken, die sich über den ganzen Himmel hinstrecken, lichterloh zu brennen scheinen, wie sich dieses vielfarbige Schauspiel in ausgedehnten, glatt gefrorenen Wasserflächen widerspiegelt, die so still sind, dass sie wie riesige Glasscheiben aussehen.«
Der Polarkreis, in dessen Nähe John und seine Schwester Angela ihre ersten Lebensjahre verbrachten, liegt bei 66° 30' nördlicher Breite. Auf dieser unsichtbaren Linie bleibt die Sonne am kürzesten Tag des Jahres, dem 21. Dezember, komplett unter dem Horizont, und umgekehrt, am 21. Juni, dem längsten Tag des Jahres, 24 Stunden lang über dem Horizont. Wegen der Neigung der Erdachse erlebt das Land oberhalb des Polarkreises permanentes Tageslicht im Sommer und permanente Dunkelheit im Winter.
Die sogenannte »Arktis« lässt sich geografisch nicht genau definieren. Sie umfasst die Polarregion nördlich des Nördlichen Polarkreises, schließt aber auch Yukon, Südgrönland und Teile Alaskas ein, die südlich vom Polarkreis liegen. Diese riesigen Schneeflächen, nicht ohne Grund als »Barrenlands« (»unfruchtbare Länder«) bezeichnet, liegen nördlich der Baumgrenze, südlich derer dicht bewaldete Gegenden den oberen Rand der sogenannten »nemoralen Zone« (»temperate zone«) wie einen Mantel einhüllen und sich von Alaska bis Quebec erstrecken. Diese inoffizielle Zickzack-Grenze verläuft vom nordwestlichen Rand des Mackenzie-Deltas nach Osten bis zur südlichen Küste der Hudson Bay. Für den Reisenden, der das Glück hat, diesen entlegenen Teil der Erde zu besuchen, entfaltet sich ein atemberaubendes und majestätisches Panorama, das auf den ersten Blick alles andere als unfruchtbar wirkt. Anschwellende Kurven von Bergketten wechseln sich mit gewaltigen Gletschern ab und werfen ihre Schatten auf die grenzenlosen Flächen an den Arktis- und Hudson-Bay-Küsten. Im Sommer schneiden brausende Flüsse und rauschende Wasserfälle tiefe Gräben in die felsige Landschaft. Im Winter verwandelt sich alles in ein regungsloses, aber bezauberndes Kunstwerk in verschiedenen Schattierungen von Weiß und Blau.
Ein einziger Blick auf diese Landschaft aus Eis und Schnee genügt, um dem Betrachter das Gefühl zu geben, dass hier selbst Zeit und Geschichte eingefroren sind. Er spürt aber nicht die apathische, vom Tod umschlungene Schweigsamkeit eines Friedhofs, sondern die Magie einer hellwachen, brütenden, aggressiven Stille. Als ob alle Uhren stehen geblieben wären, aber jeden Augenblick wieder anfangen würden zu ticken. Die schneidende Kälte ist mehr als nur ein Wert auf einem Thermometer. Sie lebt und lauert. Sie wacht erbarmungslos über Spielregeln, denen sich zu widersetzen den sofortigen Tod bedeuten kann. Sie beißt um sich, ihre unsichtbaren, eisigen Finger auf der unerbittlichen Suche nach Beute, die sie innerhalb von Sekunden in einen erstarrten Kadaver verwandeln kann. Dass Tiere oder Menschen hier leben können, scheint unvorstellbar. Aber dass die Menschen, die tatsächlich jahrhundertelang in dieser grausamen Kälte ausgeharrt haben, von einer panischen Angst vor feindseligen Göttern getrieben sind, ist nachvollziehbar: Götter, die ihrer Vorstellung nach hochragende Eisberge, wilde Schneestürme und
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