Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
königlichen Hauch verpassten. Der damalige Prinz von Wales war Edward, vor allem in der Arbeiterklasse verehrt, der berüchtigte Thronfolger, der 1936 wegen der amerikanischen Society-Lady Wallis Simpson abdanken und damit einen ungeheuerlichen Skandal auslösen würde. Mitte der Zwanzigerjahre wussten die Eltern, die gerne einen »Edward« in der Reihe ihrer Sprösslinge unterbrachten, davon noch nichts.
Mit dem kindlichen Einfallsreichtum, der nicht ahnt, dass es irgendwelche Welten außerhalb der eigenen grauen und ärmlichen Grenzen gibt, entdeckten die Jungs ein fröhliches Spielreich zwischen den grauen Steinmauern von Highfields. Eine einzige nennenswerte Grünfläche gab es: den nahe gelegenen Viktoria-Park, für Kricketspiele und Seifenkistenrennen wie geschaffen. In einer Zeit, in der Autos eine Seltenheit waren und tagsüber nur das Poltern des Kohlekarrens die Ruhe der Straßen störte, konnte man auf dem Kopfsteinpflaster gemütlich sitzen und stundenlang mit Murmeln und Kastanien spielen, bis der »Lamplighter« bei Einbruch der Dunkelheit mit seinem langen Stab vorbeikam und die Gaslaternen anzündete.
Das Zentrum ihrer kleinen Welt war das kleine, dunkle Wohnzimmer, das einzige Zimmer im Hause, in dem es einen Kamin gab. Auch im Sommer war die wichtigste Pflicht am Tagesanfang, ein Feuer zu schüren, danach spielte sich alles im Bereich dieser Wärme ab. Backsteinmauern sind kalt wie Eis und schlucken im Nu jeden Wärmestrahl.
Wie bei allen Reihenhäusern in Highfields befand sich die Toilette draußen am Ende des Gartens. Gebadet wurde in einer Metallwanne vor dem Kamin, alle nacheinander im gleichen Wasser.
»Die Nacht wird nicht ewig dauern. Es wird nicht finster bleiben. Die Tage, von denen wir sagen, sie gefallen uns nicht, werden nicht die letzten Tage sein. Wir schauen durch sie hindurch, vorwärts auf ein Licht, zu dem wir jetzt schon gehören und das uns nicht loslassen wird …«
Die Stimme des Pfarrers dröhnte durch das riesige Kirchenschiff.
»Ist das schon der Abschlusssegen oder predigt er noch, Roy?«
Roy musste von der Kirchenbank halb aufstehen, um einen Blick in das Gebetsbuch zu werfen, das auf der Ablage vor ihm lag.
»Pech, Jack«, flüsterte er, »das ist leider erst die Predigt. Das Apostolische Dingsbums hatten wir schon, oder? Es kommt noch eine Lesung, ein Text zum Nachdenken, ein Gebet, ein Lied, der Segen. Oh, und heute ist ja Abendmahl.«
Jack stöhnte leise.
»Kannst du so sitzen, Roy, dass Großmutter mich von ihrem Platz aus nicht sieht?«
Großmutter Sperry saß kerzengerade am anderen Ende der Kirchenbank und starrte regungslos auf den Glatzkopf des Gentlemans, der ebenso regungslos direkt vor ihr saß. »Wenn du erwischt wirst, kriegst du keine Erdbeeren, Jack.«
»Ist mir doch egal. Stups mich, wenn wir wieder aufstehen oder knien müssen.«
Roy rutschte leise nach vorne, Jack beugte sich über ein kleines Kreuzworträtselheft, das er aus seiner Hosentasche herausgeholt hatte.
»So ist es gut, du siehst aus, als ob du betest.«
»Der Gott der Hoffnung erfülle uns nun mit Freude und Frieden …«
»Das klingt wie der Segen!«, flüsterte Jack und stopfte seine Kreuzworträtsel zurück in die Hosentasche.
Der Pfarrer klang genauso erleichtert wie die zwei kleinen Zuhörer, die hinter den hohen Kirchenbänken von vorne kaum sichtbar waren.
»Zu Hause spielen wir unsere Schachpartie zu Ende, Roy. Was hältst du davon?«, fragte Jack, nachdem sie dem Pfarrer am Kircheneingang höflich die Hand geschüttelt hatten und Großmutter Sperry sich für die erbauliche Predigt bedankt hatte.
»Wie kannst du überhaupt fragen, Jack? Heute ist doch Sonntag. Mutter wird es nicht erlauben, das weißt du.«
»Ach Mann, muss Sonntag immer der langweiligste Tag der Woche sein?«
»Bei Großmutter Priest werden wir wenigstens dafür bezahlt, dass wir den Gottesdienst aushalten!«, kommentierte Roy.
In der Tat war ein Besuch in der Kirche der zweiten Großmutter für Jack und Roy ein lukratives Geschäft. Elsies Eltern, die die junge Familie jeden zweiten Sonntag zum »Afternoon Tea« einluden, waren überzeugte Methodisten. Die heiß begehrten Pennys als Belohnung für den durchgestandenen Gottesdienst waren eine willkommene Ergänzung des mageren Taschengelds.
Zum Leben in vorbildlicher Frömmigkeit gehörte für die Priest-Großeltern nicht nur der regelmäßige Gottesdienstbesuch, sondern auch absolute Abstinenz. Dass ein anständiger Christ keinen Tropfen
Weitere Kostenlose Bücher