Am Samstag aß der Rabbi nichts
schob es hoch, bis er unten durchschlüpfen konnte,
und zog es wieder hinunter.
Er kletterte in den Streifenwagen. Sein Kollege wollte schon
anfahren, aber er zog ihm die Hand vom Schalthebel weg.
«Nein, Tommy, wir bleiben hier … Ich hab ihn gefunden. In der
Garage.»
«Besoffen wie das letzte Mal?»
«Besoffen, aber zum letzten Mal.»
8
Der Jom Kippur -Gottesdienst, der den ganzen Tag
dauert, begann um neun Uhr mit dem Morgengebet. Es waren erst wenige Leute da,
meist ältere Männer, und auf der erhöhten Plattform vorn saß nur der Rabbi.
Selbst der Kantor fehlte. Es war Sitte, dass ihn beim Morgengebet jemand
ablöste, um ihm eine Atempause zu gönnen. Gewöhnlich wurde Jacob Wasserman mit
diesem Ehrenamt betraut. Er war der erste Präsident der jungen Gemeinde gewesen
und hatte sich stets sehr aktiv für sie eingesetzt.
Dauernd strömten Leute herein. Als nach zehn Uhr die Thora
ausgehoben wurde, war die Synagoge voll. Manche Andächtige schalteten zu dieser
Zeit eine Pause ein und gingen ein wenig Luft schöpfen. Beim Jiskor , der
Seelenfeier, waren wieder alle vollzählig versammelt. Viele kamen nur zu diesem
Teil des Gottesdienstes, um ihrer verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Andere
– jüngere Leute vor allem – gingen hinaus, denn es gilt nach der Tradition als
schlechtes Omen, wenn jemand, dessen Eltern noch leben, am Jiskor teilnimmt.
Rabbi David Small hielt dies zwar für reinen Aberglauben, aber er wusste, dass
draußen festtäglich gekleidete Jungen und Mädchen lachend und schäkernd
beisammenstanden, und dass kleinere Kinder auf dem Synagogengelände spielten,
war nicht zu überhören. Ihr Kreischen störte bisweilen die Andacht, sodass von
Zeit zu Zeit jemand herauskam und sie zur Ruhe mahnte.
Gegen vier Uhr war der Gottesdienst schon so weit
fortgeschritten, dass nicht abzusehen war, wie er bis zum Sonnenuntergang
ausgedehnt werden konnte. Der Rabbi hatte seine Predigt schon aus dem Stegreif
erweitert und sehr langsam gesprochen; jetzt trat er an das Vorlesepult und
sagte zu dem Kantor: «Wir haben zu viel Vorsprung, Zimbler. Können Sie etwas
langsamer vorbeten?»
Der Kantor zuckte die Achseln. «Was soll ich tun, Rabbi? Die
Noten dehnen?»
Der Rabbi lächelte. «Dann legen wir eben eine Pause ein …»
Er wandte sich an die Gemeinde und verkündete: «Wir haben so eifrig gebetet,
dass wir der Sonne vorauseilen. Wir machen eine halbe Stunde Pause.»
Man vernahm ein anerkennendes Schmunzeln aus den Reihen.
Die Leute waren froh über die Unterbrechung und unterhielten sich mit ihren
Nachbarn. Nach einer Weile erst begann man mit den Schlussgebeten.
Der Präsident reckte sich auf seinem Stuhl. «Wissen Sie, Rabbi,
es ist seit langer Zeit wieder das erste Mal, dass ich am Jom Kippur faste,
und ich fühle mich ausgezeichnet … Ich meine, ich habe mich sonst auch nicht
gerade satt gegessen – höchstens am Mittag ein Sandwich und eine Tasse Kaffee, aber
… Also ich finde, als Präsident ist es meine Pflicht zu fasten. Ich bin zwar
ein bisschen schwach auf den Beinen, aber sonst geht’s mir wirklich blendend.»
«Mr. Goralsky hat mir gestern erzählt, dass er seit
fünfundsiebzig Jahren fastet, und es scheint ihm nicht geschadet zu haben.»
«Da fällt mir ein – haben Sie was gehört, wie es ihm geht? Ich
hab den Jungen den ganzen Tag nicht gesehen. Das will mir gar nicht gefallen,
Rabbi. Sein Vater ist sicher schlecht dran, sonst wäre Ben gekommen.»
Der Rabbi musterte ihn neugierig. «Sind Sie so sicher, dass
eine große Spende herausschauen wird?»
«Ich habe mit dem Alten gesprochen … natürlich ganz unverbindlich»,
bemerkte Schwarz. «Fest versprochen hat er nichts, aber er ist jedenfalls nicht
abgeneigt.»
«Und was will er spenden?»
Schwarz blickte den Rabbi verwundert an. «Ich hab’s doch
gestern Abend schon gesagt, Rabbi – eine kleine Synagoge.»
«Ach so … Ich dachte, Sie hätten das nur so als Beispiel erwähnt.
Meinen Sie, dass er tatsächlich dazu bereit ist? Wie hoch wäre die Spende?»
«Na – so hunderttausend, hundertfünfzigtausend.»
Der Rabbi spitzte die Lippen zu einem tonlosen Pfiff. «Die Goralskys
sind in der Elektronikbranche, nicht wahr?»
«Ja. Elektronische Geräte und Transistoren. Sie haben eine große,
neue Fabrik an der Fernstraße 128 … Sie stinken vor Geld; es
heißt, dass sie mit einer großen Gesellschaft im Westen fusionieren wollen.
Ihre Aktien sind in den letzten Wochen enorm gestiegen, fast aufs Doppelte …
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