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Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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fragten mich, ob mich Ihr Hut stört … Was ich
sagen wollte, eine gute Freundin von uns … Na ja, sie ist keine Jüdin, nein,
aber sie hat ein Herz aus Gold …»
     
    «Eine Mrs. Marcus», berichtete Miriam, als sie zum Tisch zurückkehrte.
«Sie sind neu in der Gemeinde …»
    «Ich weiß schon. Joe … nein, Jordan Marcus.»
    «Ja. Sie rief wegen eines gewissen Isaac Hirsh an – er ist letzte
Nacht gestorben. Das ist schon der Zweite; als ich von der Synagoge nach Hause
kam, rief ein Dr. Sykes an und wollte auch deswegen mit dir sprechen. Ich hab
ihn auf morgen herbestellt. Kanntest du den Mann?»
    «Hirsh? Nein. Soviel ich weiß, haben wir keinen Isaac in
der Gemeinde.» Er lächelte. «Schade; es ist ein guter, alter Yankee-Name. Heißt
nicht der Stadtschreiber Isaac Broadhurst? Wie wär’s mit Isaac für den zukünftigen
Small?»
    «Wir haben uns doch auf Jonathan geeinigt», sagte sie nachdrücklich.
«Isaac kommt ohnehin nicht infrage. Dein Onkel heißt so, und deine Familie
würde niemals einen zweiten Isaac dulden, solange er lebt.»
    «Da hast du recht. In dieser Hinsicht haben es die Christen
viel leichter. Wenn ihnen nichts einfällt, können sie ihr Kind immer nach dem
Vater nennen oder nach der Mutter … David Small junior – wie klingt das?»
    «Und wenn es ein Mädchen wird?»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Wohl kaum. Meine Mutter ist
eine Frau von Charakter, und sie hat beschlossen, dass unser erstes Kind ein
Junge sein wird. Ich glaube nicht, dass sie ihre Meinung so leicht ändert.»
    «Ich bin auch charakterfest, aber in letzter Zeit wünsche ich
mir eher ein Mädchen. Ein Mädchen würde dir sicher gefallen, David. Mädchen
sind lieb und sanft, und …»
    «Charakterfest, ich weiß. Übrigens, es passt nicht zu
charakterfesten Damen, wenn sie vor lauter Familiendebatten zu spät kommen – wie
wär’s, wenn wir jetzt gingen und später weiterdiskutierten? Wir hätten nämlich
schon vor zehn Minuten bei den Schwarzens sein müssen.»
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    10
     
    «Und jetzt», verkündete Schwarz, «will ich Ihnen etwas
zeigen.» Die anderen Gäste waren nach und nach aufgebrochen, und um Mitternacht
waren nur noch der Rabbi und seine Frau da. Ethel Schwarz servierte Tee und
Konfekt. Man saß um den Esszimmertisch und hielt Rückschau auf den Versöhnungstag
– die Predigt des Rabbi, den Gesang des Kantors, die mangelhafte
Lautsprecheranlage. Zu Rabbi Smalls großer Verwunderung war Schwarz
ungewöhnlich zuvorkommend und freundlich. Jetzt würde sich herausstellen,
weshalb er sie zurückbehalten hatte, nachdem alle anderen gegangen waren.
    «Kommen Sie …» Schwarz stand auf und führte sie durch die
Diele in sein Arbeitszimmer. Hier gab es keine Bücherregale; am Fenster stand
ein großes, verstellbares Zeichenpult und an der Wand ein breiter Schrank mit
Schubladen für die Zeichnungen. Auf einem Tisch mitten im Zimmer stand ein
Modell. Das Modell einer Synagoge, sauber aus Pappe ausgeführt, umgeben von
Gras aus grünem Filz und Gebüsch aus winzigen Zweigen. Kleine Gipsfiguren
vermittelten einen Eindruck von den Größenverhältnissen.
    «Wie hübsch!», rief Miriam aus.
    «Siebzig Stunden Arbeit», erklärte Schwarz. «Aber das Beste
haben Sie noch gar nicht gesehen.» Er führte die beiden um den Tisch herum. An
die rückwärtige Wand der Synagoge war eine zweite, kleinere Synagoge angebaut.
Der Bau besaß eine Kuppel, welche die Architektur des Heiligen Landes andeuten
sollte. Eine Säulenhalle aus doppelten Zylindern – offensichtlich eine
Versinnbildlichung der Thorarollen – bildete den Eingang.
    «Was sagen Sie dazu?», fragte Schwarz und fuhr fort, ohne
erst eine Antwort abzuwarten: «Es ist gleichzeitig klassisch, einfach und
elegant. Wie finden Sie die Idee, Thorarollen als Säulen zu verwenden? Gibt es
etwas Naheliegenderes? Die Form des Zylinders verbindet ein Optimum an
Tragfähigkeit mit dem geringsten Materialaufwand. Warum sollen wir Anleihen in
der griechischen Architektur machen, wenn wir in der Thorarolle den doppelten
Zylinder haben – gewissermaßen das höchste Symbol unserer Religion?»
    «Gewiss … ein interessantes Projekt», murmelte der Rabbi.
«Aber verändert es nicht … wie soll ich sagen – die Gesamtwirkung des ursprünglichen
Baus?»
    «Das will ich hoffen!», rief Schwarz erregt. «Aber es wirkt
nicht als Fremdkörper, sondern als harmonische

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