Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Samstag aß der Rabbi nichts

Am Samstag aß der Rabbi nichts

Titel: Am Samstag aß der Rabbi nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
Vom Netzwerk:
Und
wissen Sie, womit sie angefangen haben, die Goralskys? Mit einer Geflügelhandlung.»
    «Einer Geflügelhandlung?»
    «So wahr ich da steh. Meine Großmutter kaufte noch bei ihnen
im Laden frisch geschlachtete Hühner. Der alte Goralsky hat sie selber bedient,
mit dem Strohhut auf dem Kopf, die blutverschmierte Schürze umgebunden … Sie
haben sich ganz allmählich hochgearbeitet, hier ein bisschen investiert und
dort ein bisschen. So kamen sie zu Geld. Eines Tages hörten sie, dass eine
Transistorenfirma einen Partner suchte, und steckten ihr ganzes Geld hinein.
Mit der Zeit kauften sie ihren Partner aus, und dann wurden sie richtig groß … Haben
Sie den Artikel über Ben Goralsky im Time Magazine gelesen?»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf.
    «Anderthalb Spalten, mit Foto … Ich wollte ihn in den Vorstand
setzen, aber er sagt, er hat keine Zeit.» Es klang verdrießlich.
    «Glauben Sie, wenn er im Vorstand ist, stiftet er eher eine
Synagoge als ein Chemielabor?»
    «Wenigstens müsste er sich dann für unsere Organisation und
ihre Probleme interessieren.»
    «Wozu brauchen wir eigentlich eine zweite Synagoge? Wir haben
hier reichlich Platz …»
    Schwarz sah ihn an. «Rabbi, eine Gemeinde, die im Wachsen
ist, hat nie genug Platz. Wenn es auch für heute noch reicht, wird es schon
morgen nicht mehr reichen. Außerdem …» Schwarz lächelte herablassend:
«Vergessen Sie nicht, dass ich Architekt bin … Kommen Sie doch nachher mit
Miriam zu uns rüber! Ethel erwartet Sie beide.»
    «Gern, wenn Miriam nicht zu abgekämpft ist.»
    «Gut. Dann will ich Ihnen mal was zeigen … Die Augen werden
Ihnen übergehen.»
    Von ihrem Platz aus bedeutete Miriam ihrem Mann, dass sie
ihm etwas sagen wollte. Er stieg zu ihr hinunter, während sie bereits auf den
Ausgang zusteuerte.
    «Ist dir nicht gut, Liebste?»
    «Ich bin ein bisschen angeschlagen. Wahrscheinlich fehlt mir
mein Nachmittagsschlaf. Alice Fine fährt nach Hause und nimmt mich mit.»
    «Mach dir zu Hause eine Tasse Tee. Oder noch besser ein Glas
warme Milch. Und iss was … Fehlt dir wirklich nichts?»
    «Bestimmt nicht, David. Es ist alles in Ordnung.»
    «Ist ihr nicht gut?», fragte Schwarz, als der Rabbi zurückkam.
    David sagte, Miriam sei ein wenig müde.
    «Kein Wunder», versetzte Schwarz. «Hoffentlich fastet sie nicht.»
    «Doch. Aber sie hat mir jetzt versprochen, eine Kleinigkeit
zu essen.»
    Die Sonne war am Untergehen, als Kantor und Gemeinde den
Wechselgesang des Owinu Malkenu anstimmten: «Unser Vater, unser König …»
Dann sprachen sie voller Inbrunst das Sch’ma Jisrael : «Höre, Israel, der
Ewige, unser Gott, ist ein einziger Gott.» Zuletzt riefen Kantor und Gemeinde
siebenmal hintereinander aus: «Der Herr ist unser Gott.» Sie riefen es mit
jedem Mal lauter und leidenschaftlicher, bis der lange, fremdartige und
frohlockende Ton des Schofars , des Widderhorns, das Ende des
Versöhnungstages ankündigte.
    Dann wurde noch der Kaddisch für die Hinterbliebenen
gebetet, und der Rabbi sprach den Segen, während die Männer bereits ihre
Gebetsmäntel zusammenfalteten, den Nachbarn die Hände schüttelten und einander
ein glückliches neues Jahr wünschten.
    Der Rabbi gab Mortimer Schwarz, dem Kantor und dem Vizepräsidenten
die Hand. «Bis heute Abend, nicht wahr?», fragte Schwarz. «Ja … Wenn sich
Miriam wohl fühlt.»
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    9
     
    Widerwillig schlurfte Jordan Marcus zum Telefon. Während er
nach dem Hörer langte, machte er einen letzten Versuch: «Weißt du, Liz, wir
sollten uns da nicht einmischen. Erstens sind wir noch nicht lange in der
Gemeinde …»
    «Na und?», gab seine Frau zurück. «Du hast deinen Beitrag
bezahlt, oder nicht?»
    «Du weißt verdammt gut, dass ich geblecht hab! Hundert Dollar
sind doch kein Pappenstiel, plus fünfzig für die beiden Platzkarten …»
    «Was hätten wir sonst tun sollen an den Feiertagen? Ins Kino
gehen?»
    «Kein Schwanz hat nach den Karten gefragt. Wir hätten einfach
reingehen können …»
    «Und die Levensons und die Baylisses und alle anderen? Glaubst
du, die hätten dich nicht gesehen und gewusst, dass du kein Mitglied bist?»
    «Wir hätten zu meinen Verwandten nach Chelsea fahren können.
Dort kostet der Platz zehn Dollar. Ich hätte mir hundertdreißig Dollar sparen
können.»
    «Und nächstes Jahr, wenn Monti in die Religionsschule muss?
Hättest du ihn auch dreimal in der

Weitere Kostenlose Bücher