Am Samstag aß der Rabbi nichts
er gab sich alle
Mühe, respekteinflößend zu wirken, ganz unpersönlicher Polizeibeamter. Aber das
war gar nicht so einfach, denn Mrs. Chambers kam aus der Old Town und hatte ihn
noch als kleinen Gassenjungen gekannt.
«Was willst du eigentlich? Wenn du Mr. Goralsky
Schwierigkeiten machst, kriegst du’s mit mir zu tun. Ich mach da nicht mit. Mr.
Ben ist ein feiner, hochanständiger Herr, und sein Vater ist ein lieber, alter
Mann, auch wenn er ein Ausländer ist und manchmal ’n bisschen komisch redet.»
«Ich hab’s Ihnen doch schon erklärt, Mrs. Chambers. Eine reine
Routineuntersuchung.»
«Das klingt so hübsch – Routineuntersuchung … Und was
untersuchst du, mit Verlaub?»
«Wir befragen jeden, der irgendwann einmal mit dem
verstorbenen Isaac Hirsh Verbindung hatte – mit dem Mann, dessen Bild ich Ihnen
gezeigt habe. Reine Routinesache», wiederholte er und blätterte in seinem
Notizbuch. «Ich hab den ganzen Tag damit zugebracht. An die zwanzig Leute hab ich
heute schon …»
Sie ließ ihn nicht ausreden. «Ich hab den Mann nie
gesehen.»
«Ist er nie hier im Haus gewesen? Denken Sie scharf nach.»
«Wie redest du eigentlich mit mir, Henry Whitaker? Ich sag
dir doch, ich hab ihn nie gesehen.»
«Und Mr. Goralsky? Hat Mr. Ben Goralsky nie den Namen Hirsh
erwähnt?»
Achselzucken. «Mir gegenüber jedenfalls nicht.»
«Und der Alte?»
«Nicht dass ich wüsste.»
«Gut. Und jetzt versuchen Sie mal, sich an den Abend des 18 . September zu erinnern. Es war ein Freitag. Und ein hoher
jüdischer Feiertag …»
«An dem Abend wurde der alte Herr krank.»
«Und der Junge kam vermutlich früh nach Hause. Alle anderen
… Also, alle anderen Juden hörten früher als sonst mit der Arbeit auf. Er
sicher auch.»
«Ja. Und das ganze Personal bekam frei.»
«Aber Sie …»
«Ich bin hier geblieben. Klar. Wer hätte sonst den alten Herrn
pflegen sollen? Wo er doch so hohes Fieber hatte?»
«Wann kam Mr. Ben nach Hause. Um drei? Um vier?»
«Es muss so gegen vier Uhr gewesen sein.»
«Ich nehme an, er war die ganze Zeit zu Hause, bis er in die
Synagoge ging.»
«Er ist nicht in die Synagoge gegangen. Jedenfalls nicht zum
Beten. Er hat nur den Rabbi mit seiner Frau hingefahren und kam gleich wieder
zurück.»
«Und in der Zeit waren Sie allein mit dem alten Herrn?»
«Ja. Ich saß an seinem Bett.»
«Und nachdem Mr. Ben den Rabbi bei der Synagoge abgesetzt
hatte, kam er nach oben, um zu sehen, wie es seinem Vater geht?»
«Nein.» Sie schüttelte energisch den Kopf. «Er kam nicht nach
oben, weil er nicht wollte, dass sein Vater merkt, dass er nicht in der
Synagoge ist. Der alte Herr hätte sich sonst schrecklich aufgeregt. Darum hat
sich Mr. Ben versteckt.»
«Hm … so … Und woher wissen Sie, dass er gleich wieder zurückkam?»
«Weil er mir’s gesagt hat. Woher denn sonst?»
«Hat er’s Ihnen am nächsten Morgen gesagt?»
«Nein. Später am Abend. Der alte Herr war eingeschlafen, und
ich machte mir was zu essen in der Küche. Da sah ich Mr. Ben im Wohnzimmer.»
«Wann war das?»
«Neun, halb zehn.»
«Sie haben ihn also zwischen sieben, als er den Rabbi zum Tempel
brachte, und neun Uhr nicht gesehen.» Whitaker studierte mit finsterer Miene
sein Notizbuch. «Aber Sie haben ihn doch sicher gehört, als er heimkam?»
«Nein, hab ich nicht», gab sie bissig zurück. «Ich hab Mr. Goralskys
Schlafzimmertür zugemacht, weil es sonst zieht. Und das Wohnzimmer ist auf der
anderen Seite des Hauses.»
«Haben Sie wenigstens gehört, wie der Wagen vorfuhr?», bohrte
er weiter.
«Nein.»
«Nein? Das ist aber komisch.»
«Da ist überhaupt nichts komisch dran, Henry Whitaker: Glaubst
du vielleicht, Mr. Goralsky fährt mit so ’ner alten Kiste rum, dass man’s durch
die Mauern von so einem Haus hören kann? Bei der Brandung?»
«Ach so, ja – die Brandung …», murmelte er kleinlaut.
«So, und wenn du jetzt mit deiner Fragerei fertig bist, geh
ich wieder an meine Arbeit. Mr. Ben wird gleich von der Synagoge zurück sein
und noch ’ne Kleinigkeit essen wollen.»
33
«Sie haben Ihren Fall also gelöst, ja?», knurrte Lanigan.
«Sie wissen haargenau, wie sie’s getan hat? Warum bleiben Sie nicht noch in der
Stadt, bis sie ein Geständnis ablegt? Ich geb Ihnen gern eine Kopie; die können
Sie sich dann einrahmen lassen und über den Schreibtisch hängen.»
Aber Beam ließ sich nicht provozieren. «Hören Sie, Chef ich
mach meine Arbeit, und Sie machen Ihre. Es ist nicht meine
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