Am Samstag aß der Rabbi nichts
wir von Quint – Sie haben’s mir selber erzählt –,
dass er seine Angestellten zweimal empfing: Bei der Einstellung und bei der Kündigung
… Sykes musste also damit rechnen, dass Hirsh von Quint als Kündigungsgrund
Fehler vorgehalten bekommen würde, die er selber gemacht hatte, dass Hirsh daraufhin
sagt: O nein, Sir, das war ich nicht; das war Dr. Sykes – bitte, hier sind
meine Berechnungen, ich habe den Fehler ja selbst entdeckt …» Der Rabbi sah
Lanigan erwartungsvoll an. «Na?»
Der Polizeichef faltete die Hände im Nacken und lehnte sich
nachdenklich zurück. Dann schüttelte er den Kopf. «Die Sache scheint zwar Hand
und Fuß zu haben, Rabbi, aber es sind doch nur Vermutungen. Wir haben nicht den
geringsten Beweis.»
«Sie brauchen nur Sykes zu fragen, wie er am Freitagabend vom
Labor nach Hause gekommen ist … Fragen Sie ihn das mal.»
«Okay, wird gemacht.» Lanigan lächelte. «Irgendwie schaffen
Sie es immer, Ihre Leute aus der Klemme zu holen.»
«Meinen Sie Goralsky und Brown?»
«Brown konnten wir ohnehin nichts nachweisen. Wir haben nur
so herumgetastet; wir mussten irgendeinen Ansatzpunkt finden … Wissen Sie,
warum er früher aus der Synagoge gegangen ist? Er schämte sich, es Ihnen zu
gestehen, aber bei uns hat er’s dann zu Protokoll gegeben: Er hatte einen
großen Versicherungsabschluss in der Schwebe, und der Kunde bestand darauf, die
Police an jenem Abend zu unterschreiben.»
«Aha … Ja, ich habe mir gedacht, dass es so was war. Es passt
zu ihm.»
«Von Ihrem Standpunkt aus muss das sicher etwas Schlimmes
sein.»
Der Rabbi überlegte. «Nein, ich glaube nicht. Im Grunde freue
ich mich sogar darüber.»
«Dass er aus dem Gottesdienst gelaufen ist, um ein Geschäft
abzuschließen?»
«Nein – ich freue mich, dass er sich geschämt hat.»
37
Am Sonntagmorgen stand Schwarz mit seinen Anhängern mürrisch
im Korridor vor dem Sitzungszimmer herum.
«Glaubst du, der Rabbi kommt heute?», fragte Marvin Brown.
«Kaum», sagte Schwarz. «Als zukünftiger Vater ist er sicher
im Krankenhaus.»
Herman Fine trat zu ihnen. «Ich hab gehört, die Frau vom Rabbi
ist gestern in die Klinik gekommen … Vielleicht sollten wir das Rücktrittsgesuch
nicht ausgerechnet heute vorlesen. Ich finde, es wäre … eh, irgendwie
unpassend.»
«Bist du verrückt?», fuhr Schwarz dazwischen. «Das mit dem
Rücktritt, das ist vorbei. Aus. Erledigt … Ich hab’s den anderen gerade gesagt.
Ich bin heute früh nach dem Minjan Ben Goralsky in die Arme gelaufen – eine
geschlagene Viertelstunde lang hat er von nichts anderem geredet als von
unserem großartigen Rabbi … Man könnte meinen, Small hätte ihm das Leben
gerettet!»
«Vielleicht hat er es auch», sagte Marvin Brown. «Es heißt immer,
wenn einer unschuldig ist, passiert ihm auch nichts; aber wie oft kommt es vor,
dass plötzlich jemand ein Verbrechen gesteht, für das ein anderer seit zwanzig
Jahren sitzt …» Er fuhr sich mit der Hand unter den Hemdkragen. «Ich bin auch
ganz schön ins Schwitzen gekommen, kann ich dir sagen.»
«Also schön – der Rücktritt findet nicht statt», sagte Fine.
«Mir recht. Aber was tun wir jetzt? Ich finde, wir sollten geradheraus sagen,
wie’s war. Mort müsste den Brief vorlesen, erklären, dass das Ganze auf einem
Missverständnis beruht, und dann den Vorstand auffordern, gegen das Gesuch zu stimmen.»
«Den Teufel werd ich tun!», knurrte Schwarz.
«Was soll das heißen, Mort?»
«Ich bin heilfroh, dass Ben Goralsky aus der Sache raus ist,
und ich will es dem Rabbi gern zugute halten; vergessen wir also das
Rücktrittsgesuch, sonst haben wir die Goralskys gesehen. Aber wenn ihr glaubt,
ich bitte den Rabbi, dass er bleibt – na, hört mal! Dann hätte er uns
alle in der Hand! Es braucht nur wieder eine Meinungsverschiedenheit zu geben und
… Achtung – Wasserman und Becker!»
«Morgen allerseits», sagte Wasserman. «Eine gute Nachricht:
Die Rebezen hat einen Jungen – ich hab gerade im Krankenhaus angerufen.»
«Fein.»
«Das ist wirklich mal ’ne gute Nachricht.»
«Wie geht’s ihr?»
Sie umringten ihn und stellten ihm Fragen.
«Hört mal, Leute», sagte Schwarz, «wollen wir den ganzen Tag
hier draußen stehen und quatschen? Fangen wir endlich mit der Sitzung an.»
Allgemeine Zustimmung.
«Was gedenken Sie mit dem Brief des Rabbi zu tun?», fragte
Wasserman, während sie zur Tür gingen.
Schwarz schaute ihn überrascht an. «Welcher Brief,
Wasserman? Von was für
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