Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
neue Klasse von Flüchtlingen hervorbringt.
Dieser Gründungswiderspruch wird durch das Kausalargument verschleiert, das nicht nur eine direkte Linie vom Nazi-Völkermord zur Gründung des Staates Israel zieht, sondern mindestens noch zwei Schritte weiter geht und behauptet, (a) dass die Gründung des Staates gerade in diesem Territorium und nirgendwo sonst legitim war und (b) dass jede Kritik am Staat Israel wegen seiner Politik der Vertreibung, Besatzung und Landenteignung auf eine »Delegitimierung« hinausläuft, die den Verlauf der Geschichte umzukehren und das jüdische Volk genozidaler Gewalt preiszugeben droht. Diese Argumente wurden ex post facto vorgebracht, um einen Staatsapparat und eine militarisierte Kolonialbesatzung zu rechtfertigen, ein Gefühl für die Richtigkeit nationalistischer Ansprüche zu erzeugen und sämtliche Akte militärischer Aggression zur notwendigen Selbstverteidigung zu erklären. Stellt man die Gründung infrage oder bringt man sie in Verbindung mit einer Katastrophe, gilt man als gleichgültig gegenüber der Zerstörung des jüdischen Volkes. Dieser Vorwurf ist aber nur triftig, wenn man zugleich annimmt, dass der Nazi-Völkermord den Siedlerkolonialismus und die Schaffung neuer Gruppen von Nicht-Staatsbürgern, Teil-Staatsbürgern und Staatenloser rechtfertigt. Tatsächlich scheinen vor dem Hintergrund des Nazi-Völkermordes aber ganz andere Werte und politische Anliegen begründet, solche nämlich, die sämtliche Formen von Faschismus und Zwangsvertreibung zu begreifen und zu verhindern suchen. Es mag so aussehen, als schlüge ich hier vor, den jüdischen Bezugsrahmen aufzugeben. Das stimmt und stimmt auch nicht. Ich will unter anderem zeigen, inwiefern das Jüdischsein vom Zionismus getrennt war, ist und bleiben muss. Und zum Projekt dieses Buches gehört die Loslösung von einem jüdisch zentrierten Bezugsrahmen im Nachdenken über das Problem des Zionismus und die Betrachtung des Jüdischseins im Moment seiner Begegnung mit dem Nicht-Jüdischen und der sich daraus ergebenden Zerstreuung des Selbst. Deshalb finden sich hier Auseinandersetzungen mit palästinensischen Autoren, vor allem mit Edward Said und Mahmoud Darwish.
Meine Position ist, dass die Loslösung von den historisch ausgebildeten kommunitaristischen Verankerungen einen notwendigen und schwierigen Kampf darstellt und dass manche Aspekte der jüdischen Ethik von uns verlangen, dass wir uns nicht mehr ausschließlich mit der Verletzlichkeit und dem Geschick des jüdischen Volkes beschäftigen. Ich bin der Auffassung, dass die Loslösung von uns selbst Bedingung einer bestimmten dezidiert nicht-egologischen ethischen Beziehung ist. Sie ist die Antwort auf die Ansprüche der Alterität und legt die Grundlagen für eine Ethik in der Zerstreuung.
So ist dieses Buch von Anfang an von Ungewissheit geprägt und kämpft gegen einen sentimentalen und blind machenden Kommunitarismus, der so viele jüdische Versuche der Verteidigung des zionistischen Bezugsrahmens kennzeichnet. Es ist die verborgene Dokumentation einer Prägung und eines Bruchs, die, wie ich hoffe, anderen helfen kann, die einen ähnlichen Kampf führen. Das Buch beansprucht nicht, eine Geistesgeschichte des europäischen nicht-zionistischen jüdischen Denkens zu sein, aber es befasst sich vorrangig mit einigen Texten aus der europäischen intellektuellen Überlieferungund konfrontiert sie zugleich mit Saids politischer Vision und Darwishs poetischer Darstellung gewollter und ungewollter Nähe. Der Text ist in seiner Uneinheitlichkeit durch meine eigene Prägung beeinflusst, aber er soll dokumentieren, was man mit der je eigenen Prägung tun kann und muss, wie man sie auf neuartige Weise wiederholen muss und wo es (aus inneren und äußeren Gründen dieser Prägung selbst) ethisch und politisch geboten ist, sich von ihr zu lösen. Dann also: Mein Symptom, mein Irrtum, meine Hoffnung …
Lévinas
Kehren wir zu Saids Formulierung zurück, sehen wir, dass die Gestalt Moses ein ganz anderes Konzept der »Kohabitation« als das Bubersche der »Kooperation« bietet. Diese Gestalt vereint in ihrer Person disparate Überlieferungen, jüdische und nicht-jüdische. Ist eine Bedingung jüdischen Lebens die Bindung des Juden an den Nicht-Juden, dann sind beide nicht voneinander zu trennen; jedenfalls lässt sich der Jude nicht ohne den Nicht-Juden denken, auch wenn wir nicht wissen, ob das auch umgekehrt gilt. Jude sein heißt indes, in Bezug zum Nicht-Juden zu
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