Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
»begründen«. Vielmehr gehe ich der Verallgemeinerung bestimmter Prinzipien nach, die gewissen religiösen Hintergründen, kulturellen und historischen Zugehörigkeitsweisen, Mustern der Selbstreflexion und Analyse und bestimmten Konventionen des Widerstands und der Artikulation von Idealen sozialer Gerechtigkeit entstammen. Man könnte nun einfach sagen, ich als dieses so und so geformte Geschöpf extrapoliere hier schlicht aus meinem eigenen Hintergrund und meinem eigenen Umfeld, um zu universellen Prinzipien zu gelangen, deren Legitimitätund Anwendbarkeit dann völlig unabhängig von ihrer Herleitung sein sollen. Wäre dem so, dann wäre meine eigene Entwicklung, ja meine kulturelle Prägung wie eine Leiter, mit deren Hilfe man ein bestimmtes Ziel erreicht und die dann umfällt oder weggestoßen wird. Tatsächlich entstammen die Werte, die wir auf solche politischen Streitfragen anwenden, ganz bestimmten kulturellen Hintergründen. Zweifellos wäre es ein Fehler, die Frage der Religion auf das Problem zu reduzieren, ob ein gegebenes Subjekt bestimmte Dinge »glaubt«, da Religion oftmals aus einer Reihe von Praktiken besteht, ja eine Matrix der Subjektbildung darstellt. Ich könnte vielleicht gar nicht die sein, die ich bin, gäbe es da nicht schon eine bestimmte religiöse Prägung, die keineswegs diese oder jene Glaubensannahmen über Gott impliziert (die metaphysische Reduktion) oder bestimmte Glaubensformen getrennt von der Vernunft beinhaltet (die epistemologische Reduktion). Bestimmte Werte sind in Praktiken eingebettet und lassen sich aus diesen nicht einfach »extrahieren« und zu »Glaubensüberzeugungen« in Lehrsätzen machen. Sie werden als Teil eingekörperter Praktiken gelebt, die in bestimmten Wertkontexten herausgebildet und aufrechterhalten werden.
Da ich jedoch durch diese Entwicklung schwerlich determiniert bin, auch wenn sie mir zum Teil (manchmal wider Willen) Orientierungsanleitungen gibt, habe ich mich mit bestimmten Verschiebungen auseinanderzusetzen, die weder immer vorhersagbar sind noch von vielen anderen ähnlich erlebt wurden. Da ich zudem in einer Welt mit anderen lebe, die diese Prägung nicht mit mir teilen, sehe ich mich in meiner Orientierung desorientiert, aus dem Rahmen gedrängt, und eben diese Desorientierung ist die Bewegungsrichtung ethischen Handelns und der Wendung gegen Hegemonialisierung. Indem mir deutlich wird, dass es verschiedene konkurrierende Bezugsrahmen gibt, indem ich die spezifischen politischen Prägungen (wie den politischen Zionismus) erkenne, die ganz bestimmte Aspekte meiner Entwicklung in Richtung des Hegemonialen oder Nationalen verfestigen wollen, eröffnet sich die Aussicht auf Prozesse kultureller Übersetzung, die meine Orientierung entprovinzialisieren. Gerade durch Unterbrechungen und Verschiebungen des vorgegebenen Bezugsrahmens gelange ich erst zu verallgemeinerbaren Grundsätzen. Auch wenn die Universalisierung spezifischere Übersetzungsformen verlangt, gibt es doch nichts Universelles, das nicht in letzter Instanz an der (oder als) Wegkreuzung von Diskursen ausgehandelt ist. 23
Manche Regelwerke des Universellen erweisen sich als beschränkt oder werden für die Geltendmachung dieser und die Ausschaltung anderer Ansprüche instrumentalisiert. Was also im Verhältnis zum Universalisierungsprozess als idiomatisch oder fremdartig erscheint, stellt eben dessen »Universalität« infrage. Wird der Prozess der Universalisierung zum Prozess der Assimilation unterschiedlicher Diskurse in eine etablierte Ordnung, dann wird der Partikularismus dieser Ordnung in den Status des Universellen erhoben und dessen eigene hegemonistische Macht effektiv verschleiert. Die Formen der Universalisierung, die diese Machtregimes am wirkungsvollsten bekämpfen, sind diejenigen, die zugleich das »Unassimilierbare« als Vorbedingung einer heutigen Form der Universalisierung erkennbar machen und die Auflösung und Reformulierung des Universalisierungsprozesses im Namen des Unassimilierbaren fordern. Es geht nicht darum, das Unassimilierbare zu Assimilierbarem zu machen, sondern darum, jene Regimes infrage zu stellen, die Assimilation an ihre eigenen Normen verlangen. Erst wenn diese Normen auseinanderbrechen, hat Universalisierung die Chance zur Selbsterneuerung innerhalb eines radikal demokratischen Projekts.
Was das Jüdischsein, wenn nicht die jüdische Religion betrifft, kennzeichnet diese Verschiebung ein bestimmtes diasporisches Denken. Zugleich bekräftigt
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