Am Scheideweg: Judentum und die Kritik am Zionismus (German Edition)
die strukturelle Verbindung beider Kategorien; der unter Besatzung Lebende ist in einem bestimmten Sinn Ausgewiesener, nicht aber in dem Sinn, den wir gewöhnlich mit der Diaspora verbinden. Dennoch zeigen die Ausweisung des Quasi-Bürgers und die Landenteignung, dass der Bezug zwischen dem Quasi-Bürger, dem Subjekt der Kolonialbesatzung, und dem Exil ein innerer ist und dass es hier Mechanismen zur Umwandlung in immer extremere Formen der Vertreibung gibt. Manche scheinen innerhalb interner Grenzen zu leben, während andere unter Besatzung in nach außen verschobenen, aber dennoch kontrollierten Grenzen leben und wieder andere außerhalb beider Arten von Grenzen und in diesem Sinn in der Diaspora leben. Dennoch wäre es wahrscheinlich falsch, den Begriff der Diaspora nur diesem letztgenannten Zustand vorzubehalten, denn wir sehen, dass die Abdrängung in die Diaspora dem gesamten Prozess der Statusänderung zugrunde liegt. Tatsächlich könnten wir ohne den Gedanken der Diaspora die Veränderbarkeit des Status und deren Bewegungsrichtung hin zur Vertreibung gar nicht verstehen. Zugleich muss daran erinnert werden, dass Vertreibung auch ohne Ortsveränderung, ohne Bewegung durch bloße Veränderung des Status, durch Landverlust und weitere Rechteeinschränkung samt willkürlicher Umsetzung stattfindet. Und da in der Diaspora lebende Palästinenser oftmals anderswo Staatsbürgerrechte erwerben, endet die Bewegung nicht immer in dauerhafter Enteignung. Die Aberkennung des Rechts der Zugehörigkeit zu Palästina ist jedoch mit dem Erwerb von Rechten und Staatsbürgerschaft anderswo nicht aus der Welt. Diese Enteignung besteht fort und sucht den neuen Sinn für Zugehörigkeit heim; sie bleibt als globale geschichtliche und gegenwärtige Ungerechtigkeit, das heißt als andauernde Katastrophe bestehen.
Mir geht es hier um einen ziemlich einfachen Punkt: Wir können nicht leichthin von Minderheiten sprechen – den Besetzten und den Vertriebenen –, als handelte es sich dabei um stabile Gruppen, denn beide lassen sich nicht wirklich voneinander trennen, und es gibt Mechanismen, die die einen in die anderen verwandeln und die Enteignung und Vertreibung weiter vorantreiben. Der Zionismus ruht auf mehreren widersprüchlichen Voraussetzungen, von denen eine sich folgendermaßen formulieren lässt: (a) Israel wird nach Grundsätzen jüdischer Souveränität regiert und ist selbst ein jüdischer Staat, und (b) Israel muss, eben weil es kein rein jüdischer Staat ist, um die Aufrechterhaltung der demografischen Überlegenheit über nicht-jüdische Minderheiten kämpfen. Zur Aufrechterhaltung dieser Überlegenheit sind drei Prozesse in Bezug auf die palästinensische Bevölkerung erforderlich: Minorisierung, Besatzung und Vertreibung. Zugleich muss Israel ununterbrochen den Widerspruch zwischen der Behauptung, es sei ein jüdischer Staat, und seiner Verteidigung der demografischen Überlegenheit verschleiern, die notwendig ist, weil es eben kein jüdischer Staat ist. Mir geht es darum, dass dieser Kampf in vieler Hinsicht den gerade beschriebenen Verwandlungsprozess erklärt. Das Projekt der Aufrechterhaltung jüdischer demografischer Überlegenheit setzt nicht nur eine aktive Minorisierung und Enteignung einschließlich Landenteignungen voraus – dieser fortgesetzte Siedlerkolonialismus sichert allererst seine Existenz. Israel muss diese Strategien stetig vervielfachen und ausweiten und zu ihnen gleichsam eine politische Ewigkeit lang stehen. Anders gesagt: Wir können diese Kolonisierungspraxis so verstehen, dass sie Israel für alle Zeit an seine Kolonisierten bindet und damit unter kolonialistischen Bedingungen die vielleicht grundlegendste Form eines verwerflichen Binationalismus schafft.
Und in der Tat: Was täte Israel ohne seine unterworfene und ausgewiesene Bevölkerung, ohne seine Enteignungs- und Vertreibungsmechanismen? In seiner gegenwärtigen Form kann Israel gar nicht ohne diese Mechanismen auskommen, ohne sich selbst als Israel zu zerstören. So gesehen ist die Bedrohung Israels Folge seiner grundlegenden Abhängigkeit von Enteignung und Vertreibung zur Aufrechterhaltung seiner Existenz. Es geht also nicht um eine bloße Bereinigung oder um Reformen, sondern um die Überwindung einer fundamentalen fortbestehenden Struktur kolonialer Unterwerfung, die für Israels Existenz zentral ist. Wenn wir fragen, was Israel ohne die Unterdrückung der Palästinenser wäre, werfen wir also eine Frage auf, die deutlich
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