Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
für sie, denn es ist gigantisch. Der Pilot hat nur leider seine Maschine total oder gar nicht unter Kontrolle, denn hin und wieder stürzt er hinter irgendwelchen Felskämmen plötzlich nach unten. Ich denke dann zuerst an einen Strömungsabriss, erinnere mich aber jedes Mal daran, dass Hubschrauber nicht abstürzen können, weil Rotorblätter ja durch den Wind in Bewegung gesetztwerden und dadurch den Sturz abbremsen. Noch schneller folgt dann die Erinnerung an Videos von Hubschraubern, die das gar nicht wussten.
So fliegen wir durch ein steiniges Tal, direkt auf eine Felswand zu. Unten ist das Eis bereits zum großen Teil geschmolzen, und die Hänge sind von reißenden kleinen Bächen zerschnitten. Weiter oben ist es kalt genug, um den Schnee noch etwas zu halten. Und an einem Bergkamm ist an der steilen Kante des Grates eine zerfurchte Bruchstelle entstanden, wo große Eismassen noch übereinanderliegen, aber an anderer Stelle bereits ins Tal gestürzt sind und den Blick auf die Felsen freigeben.
Direkt dahinter liegt das nächste Tal, und der Pilot lässt den Hubschrauber wieder in einem atemraubenden Manöver abwärtsstürzen. Völlig ungefährlich, aber der Typ ist so cool, dass die Eisflächen wahrscheinlich erst dann entstehen, wenn wir uns nähern.
Es ist beeindruckend zu sehen, wie der Frühling die letzten großen Eisschollen auf den Berghängen zu großen Bruchkanten werden lässt und das blauschimmernde Eis unter uns hinwegzieht. Der Schatten des Hubschraubers bildet nur einen kleinen Punkt auf dem Boden. Ich beobachte, wie er hüpft undspringt, und mir wird klar, wie wild und uneben es dort sein muss.
Schließlich kommen wir in Milford Sound, der nach dem Fjord benannten Ansammlung einer Handvoll Häuser, an und sind kaum aus dem Helikopter gestiegen, als uns schon der Fluch der Schönheit bewusst wird: Mücken. Es gibt dort zwei Arten von Nematocerae. Die eine ist die Sandmücke. Die ist sauklein und vor allem: Es gibt sauviele davon.
Schon James Cook nannte sie die »nervigste Mücke der Welt«. Und der muss es wissen, immerhin hat er eine Menge von der Welt gesehen. Die Neuseeländer haben diesem Ausspruch sogar ein Denkmal gesetzt und die Mücke überlebensgroß an die Wand des Hafenterminals im Milford Sound gehängt, mit Cooks Zitat darunter.
Diese Viecher sind einfach überall und setzen sich sofort auf die Haut. Noch während sie mit ihren Facettenaugen nach rechts und links spähen, ob der Tod per Handschlag heraneilt, rammen sie ihr Stechborstenbündel in die Haut. Dann spritzen sie durch einen Kanal ihren gerinnungshemmenden Speichel, damit man sich, selbst wenn der Tod sie ereilt, doch wenigstens an sie erinnert.
Der Schmerz tritt zum Glück nicht sofort ein. Nein, das wäre zu einfach. Man hat noch ein oder zwei Stunden Zeit, vor den anderen anzugeben: »Mir macht das nichts aus, mein Körper kann das! Pah, ihr Weicheier, stellt euch nicht so an.«
Doch alsbald erhebt sich die Haut und bildet rote pockenartige Hügelchen. Zuerst spürt man nur ein kurzes Gebritzel, aber dann setzt ein Juckreiz ein, der die folgende Woche das gesamte Denken auf diese kleine Stelle auf der Haut lenkt. Und das an ganz vielen Stellen. Zum Glück kann man sich mit ungeschnittenen Fußnägeln die Haut an den Waden großflächig abschälen. Was für ein Segen.
Die einzige Möglichkeit, die wir haben, um uns diesem Ansturm zu entziehen, ist es, in Bewegung zu bleiben oder uns in den Wind zu stellen. Um nicht den ganzen Tag unter den Rotorblättern des Hubschraubers zu verharren, setzen wir uns in Bewegung und machen uns auf den Weg zum einzigen Hafen, an dem man die Mücken auch mal anschauen kann, wenn sie groß sind. Wir fahren mit einem »Linienbus« vom »Flughafen« zur »Ortschaft«. Diese drei Begriffe lassen auf eine größere Metropole schließen. Aber es gibt überhaupt nur eine Linie, die da fährt. Und neben dem Hafen finden sich eigentlich nur noch ein paar weitere Gebäude, nämlich die, in denen die Menschen wohnen, die sich um die Heerscharen einfallender Touristen kümmern. Das war’s. Zwanzig Minuten Fußweg entfernt gibt’s ein Hotel, und wenn das voll ist, kann man auf der Wiese davor zelten. Sämtliche Touristen, die hier im Sommer wohl noch scharenweiser einfallen als die Mücken, verlassen das Naturschutzgebiet abends wieder, da es so gut wie keine Übernachtungsmöglichkeiten gibt.
Wir gehen in die mückenfreie Wartehalle am Hafen. Einzig zwei Modelle, um die zwei Meter groß,
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