Am Schwarzen Berg
winzigen Inseln auf der Oberfläche, die sich ständig teilte. Emil strich über Peters Gesicht, das jetzt vollständig vom Bart befreit war und hager, nackt und verletzlich aussah. Er griff nach seinen Händen. Die Worte kamen von irgendwoher: »Daß ich in dem Flug der Zeit Deine kleinen Hände halte.« Er wußte nicht, ob er sie nur dachte oder wirklich aussprach, sich dabei sofort selbst zensierend. Diese Hände sind nicht klein. Der Augenblick, in dem er die langen Finger des anderen Mannes in seinen eigenen nassen Fäusten preßte, schien sich endlos auszudehnen, und er wagte nicht, aufzusehen.
»Mein Gott, hat er abgenommen«, rief Carla. Erst jetzt bemerkte Emil, daß alle um ihn und Peter herumstanden. Sie bildeten einen Halbkreis und sahen zu, wie er rasch das Handtuch von Peters Schultern nahm, sein Gesicht sorgfältig abtrocknete, bis auch die letzte weiße Flocke verschwunden war und Peter die Augen aufschlug. Veronika trug einen Papierlampion an einem Stecken, Carla ein Teelicht in einem Weinglas, das sie vorsichtig am Stiel umfaßte. Das unruhige Licht traf Peters Gesicht, er drehte den Kopf weg.
»Ich geh mal rüber und wasch mich, es juckt irgendwie. Danke, Emil.« Peter stand auf, schob den Stuhl zurück und umarmte Emil, drückte die kühle, glatte Wange gegen seine. Emil fühlte durch den dünnen Stoff des Hemdes die knochigen Schultern und hielt ihn fest. Peter trat einen Schritt zurück, lief durch den dunklen Garten auf das Haus seiner Eltern zu. Aus seiner Gesäßtasche schaute ein gefaltetes Stück Papier, das sich leuchtend weiß von den dunklen Jeans abhob. Er schloß die Tür auf und verschwand. Im Treppenhaus ging das Licht an. Emil wandte sich ab, nahm den Eimer beim Henkel, sah die hellen Schaumreste sich auflösen, dachte an Peters Haar auf der Wiese, die winzigen Stoppeln, den wehenden Flaum, gerade richtig, um ein Mäuse- oder Vogelnest damit auszupolstern. Er bückte sich, um im Kerzenschein Klingen und Rasierschaumdose zusammenzusuchen. Von der Terrasse erklang Musik. Auf der Fußmatte stand der tragbare CD -Player aus der Küche der Raus. Es mußte Carla gewesen sein, die Cat Stevens eingelegt hatte, dessen harmlose Melancholie unter simplen Gitarrenakkorden über sie hinwegspülte wie süße Limonade.
Unter dem Mirabellenbaum stand noch immer der leere Stuhl. Das Handtuch hing naß und schlaff über der Lehne. Hajo und Veronika saßen wieder am Tisch und unterhielten sich leise. Ab und zu sah Veronika auf und blickte zum Nachbarhaus hinüber, wo inzwischen fast alle Fenster erleuchtet waren. Carla faßte Emil von hinten um die Hüfte. »Wie schön hast du ihn gemacht! Das ist ein Unterschied zu gestern, nicht wahr? Gestern nacht hab ich noch gedacht, bis ich die beiden Lütten wiedersehe, haben sie wahrscheinlich auch Bärte.« Sie stolperte, Emil hakte sie unter. Sie setzte sich neben ihren Mann und hielt ihm ihr leeres Glas hin. »Morgen fahre ich in den Etzelweg und putze dort durch. Vorhin habe ich bei Maler Schöller angerufen. Die haben Zeit, trotz Ferienende. Am Dienstag können sie anfangen. Wieder so ein Wunder. Alles wird gestrichen, die Türen gelackt, vielleicht könnte man auch einen neuen Boden reinlegen. Hajo, was meinst du? Dann wird sie schon sehen, daß er sich Mühe gibt. Und in der Praxis, bei dieser Eva, ist auch noch nicht aller Tage Abend. Er kann immer noch einsteigen, wenn es ihm wieder bessergeht.« Hajo stimmte zu. »Vorhin beim Essen hat er ganz schön reingehauen.« »Ja, die Rote Grütze und die Pasteten, da kann mein Schnuck nicht widerstehen.«
Das Gespräch verstummte über den von bunten Soßen verschmierten Tellern. Erschöpfung lag über der kleinen Tafelrunde. Emil fand nichts dabei, schweigend an seiner Bierflasche zu nuckeln, sich zurückzulehnen, in den Himmel zu starren, an dem die Sterne und ein großer gelber Halbmond erschienen waren. Carla hing unbeschäftigt im Arm ihres Mannes und nippte an einem letzten Glas Bowle. Hajos Finger waren unter den Stoff über ihrer Schulter geschlüpft und spielten dort in selbstverständlicher Besitznahme. Veronika zerpflückte mit halbgeschlossenen Augen ihre Serviette, drehte die Ringe an ihren Fingern, wippte mit dem Fuß im Takt der ›Lady D’Arbanville‹, Musik, die sie zu einem anderen Zeitpunkt wahrscheinlich unter Protest ausgeschaltet hätte.
Ohne Peter erschien Emil die ganze Zusammenkunft unwirklich und unvollständig, gleichzeitig fühlte er sich erleichtert. Es war möglich, sich
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