Am Strand
besichtigen. Edward fand, daß weder der Grüne Salon noch die winzige Garderobe und selbst Konzertsaal und Kuppelgewölbe nicht erklären konnten, warum Florence diesen Ort derart verehrte. Sie war so stolz auf ihre Wigmore Hall, als hätte sie das Gebäude selbst entworfen. Florence ging mit ihm auf die Bühne und bat ihn, sich vorzustellen, welche Aufregung und Angst man empfinden mußte, wenn man hier vor einem kritischen Publikum auftrat. Er konnte es nicht, aber das verschwieg er ihr. Sie erklärte ihm, eines Tages würde es soweit sein, sie habe sich geschworen, daß das Ennismore-Quartett auf dieser Bühne auftreten, herrliche Musik spielen und triumphieren werde. Er liebte sie für dieses feierliche Versprechen, küßte sie, sprang in den Zuhörerraum, lief drei Reihen nach hinten, blieb genau in der Mitte stehen und schwor ihr, daß er, was immer auch geschehen möge, an jenem Tag hier sein werde, genau an diesem Platz, 9c, und am Ende werde er als erster in Applaus ausbrechen und den Chor der Bravorufe anführen.
Als die Probe begann, saß Edward still in einer Ecke des kahlen Raumes, von tiefem Glück erfüllt. Er stellte fest, daß Verliebtheit kein unveränderlicher Zustand war, sondern ihn in immer neuen Wogen oder Wellen, wie gerade jetzt, erfaßte. Der Cellist, den es sichtlich nervös machte, daß Florence einen festen Freund hatte, war ein Wackelpudding von einem Kerl, ein Stotterer mit Pickeln im Gesicht, weshalb Edward Mitleid mit ihm empfinden und ihm sogar großzügig seine sklavische Fixierung auf Florence vergeben konnte, denn er ließ sie ebensowenig aus den Augen wie Edward selbst. Florence wiederum geriet vor Glück fast in Trance, sobald sie mit ihren Freunden arbeitete. Sie legte ihr Stirnband an, und während Edward darauf wartete, daß sie zu spielen begannen, hing er seinen Träumen nach, die sich nicht bloß um Sex mit Florence drehten, sondern auch um Ehe und Familie und um die Tochter, die sie womöglich einmal haben würden. Sicher war es ein Zeichen von Reife und Erwachsensein, daß ihm solche Gedanken kamen. Vielleicht aber war sein Traum auch nichts weiter als nur eine ehrbare Variante des alten Wunsches, von mehr als einem Mädchen geliebt zu werden. Schönheit und Ernst hätte sie von ihrer Mutter, ebenso den herrlich geraden Rücken, und bestimmt spielte sie auch ein Instrument - Geige vermutlich, auch wenn er die elektrische Gitarre nicht ganz ausschließen mochte.
Für das Mozart-Quintett stieß an jenem Nachmittag Sonia dazu, die Bratschistin aus dem Wohnheim. Endlich konnten sie anfangen. Es folgte eine kurze, die Spannung steigernde Stille, die Mozart selbst in der Partitur notiert haben mochte. Doch schon vom ersten Ton an verblüffte Edward die Klangfülle und Kraft, ihr so samtiges Spiel, und einige Minuten lang genoß er die Musik - bis er irgendwann den Faden verlor und das künstlich Aufgeregte wie das Einförmige ihn auf vertraute Weise zu langweilen begannen. Dann unterbrach Florence das Spiel, um mit ruhiger Stimme den bisherigen Verlauf zu kommentieren, worauf eine Diskussion folgte und sie schließlich wieder von neuem anfingen. So ging das mehrere Male, doch durch die Wiederholung begann sich für Edward eine liebliche Melodie herauszuschälen, flüchtige Verstrickungen zwischen den Stimmen, kühne Höhenwechsel und Sprünge, auf die er dann bei der nächsten Wiederholung schon wartete. Später, auf der Heimfahrt im Zug, konnte er Florence aufrichtig sagen, daß ihn die Musik bewegt hatte, ja er summte ihr ganze Auszüge daraus vor. Florence war so gerührt, daß sie ihm noch ein Versprechen gab - wieder mit diesem faszinierenden Ernst, der ihre Augen doppelt so groß wirken ließ. Wenn das Ennismore-Ensemble einst seinen großen Auftritt in der Wigmore Hall hatte, dann würde es dieses Quintett spielen, und es sollte ihm, Edward, gewidmet sein.
Edward brachte wenig später von zu Hause eine
Auswahl Platten nach Oxford mit, von denen er hoffte, sie würden Florence gefallen. Still saß sie da und hörte sich geduldig, mit geschlossenen Augen und höchster Konzentration Chuck Berry an. Edward fürchtete, Roll over Beethoven wäre nichts für sie, aber sie fand es urkomisch. Sie gebrauchte Worte wie »flott«, »fröhlich« oder »ehrlich«, die ihm jedoch verrieten, daß sie bloß nett sein wollte. Als er andeutete, sie fände anscheinend keinen Zugang zu Rock ‘n’ Roll und müsse es doch auch gar nicht weiter versuchen, gestand sie, daß sie das
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