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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Getrommel nicht ausstehen könne. Wozu dieses erbarmungslose Hämmern, Scheppern und Poltern, wenn die Melodien ohnehin so schlicht waren, meist nur ein simpler Viervierteltakt? Was hatte das Ganze für einen Sinn, wenn doch bereits eine Rhythmusgitarre und oft auch ein Klavier mitspielten? Konnten sich die Musiker kein Metronom besorgen, wenn sie unbedingt den Takt hören wollten? Sollte am Ende etwa auch das Ennismore-Quartett noch einen Drummer aufnehmen? Er küßte sie und sagte, sie sei der spießigste Mensch in der gesamten westlichen Zivilisation.
    »Aber du liebst mich«, erwiderte sie.
    »Deshalb liebe ich dich.«
    Als Anfang August in Turville Heath ein Nachbar erkrankte, fragte man Edward, ob er als Platz-wart im Turville-Kricketklub einspringen wollte. Er sollte zwölf Stunden in der Woche arbeiten, die er sich nach eigenem Gutdünken einteilen konnte. Meist ging er frühmorgens noch vor seinem Vater aus dem Haus und schlenderte im Vogelgezwitscher gemächlich durch die Lindenallee zum Klub, als wäre er der Besitzer. In der ersten Woche richtete er den Platz für das Lokalderby her, das große Spiel gegen Stonor. Er mähte und walzte den Rasen und half einem aus Hambleden kommenden Tischler beim Bau und Anstrich einer neuen Sichtblende. Wenn er gerade nicht arbeitete und seine Anwesenheit auf dem Platz nicht erforderlich war, fuhr er meist sofort nach Oxford, weil er sich danach sehnte, Florence wiederzusehen, aber auch, weil er ihren Besuch bei seiner Familie möglichst lang hinausschieben wollte. Er wußte nicht, ob sie seine Mutter mögen und wie sie auf den Schmutz und die Unordnung im Haus reagieren würde. Lieber wollte er sich die Zeit nehmen, beide Frauen aufeinander vorzubereiten. Doch Florence kam ihm zuvor. Als er an einem heißen Freitagnachmittag über den Platz ging, entdeckte er sie im Schatten des Pavillons, wo sie auf ihn gewartet hatte. Sie kannte seine Arbeitszeiten, war mit dem Frühzug bis Henley gefahren und von dort durch das Stonor-Tal gelaufen, eine Wanderkarte in der Hand und einige Apfelsinen in der Segeltuchtasche. Eine halbe Stunde lang hatte sie ihn schon beobachtet, wie er die hintere Begrenzungslinie nachzog. »Liebe aus der Ferne«, sagte sie, während sie sich küßten.
    Gemächlich liefen sie Arm in Arm durch die prächtige Allee zurück, mitten auf dem breiten Weg, als ob er ihnen allein gehörte, und dies war einer der schönsten Augenblicke ihrer jungen Liebe. Jetzt, da es unvermeidlich geworden war, daß Florence seine Mutter und sein Elternhaus kennenlernte, störte ihn der Gedanke daran auch nicht länger. Die Linden warfen so dunkle Schatten, daß sie im strahlenden Sonnenlicht fast bläulichschwarz wirkten, und auf der Heide prangten wilde Blumen und frische Gräser. Edward prahlte damit, daß er ihre Namen kannte, und ein glücklicher Zufall wollte es, daß sie sogar einen Kranzenzian am Wegrand entdeckten. Sie zwackten nur eine kleine Blüte ab und sahen eine Goldammer, einen Grünfink und dann einen Sperber, der dicht an ihnen vorbeiflog und mit einer scharfen Kurve hinter einem Schlehdornbusch verschwand. Florence wußte nicht einmal, wie diese gewöhnlichen Vögel hießen, erklärte aber, sie sei nun fest entschlossen, ihre Namen zu lernen. Ihr herrlicher Spaziergang machte Florence überglücklich, aber sie war auch stolz auf die clevere Route, die sie gewählt hatte, durch das Sto-nor-Tal über einen schmalen Wirtschaftsweg ins schöne Bix Bottom, vorbei an den efeuüberwucherten Ruinen der Kirche St. James, den bewaldeten Hügel hinauf zum Maidensgrove Common, eine Wiese, auf der sie einen Blütenteppich aus Wildblumen entdeckt hatte, dann durch den Buchenwald nach Pishill Bank, wo eine kleine Kirche aus Ziegel und Flintstein mit ihrem Friedhof malerisch am Hang lag. Während sie diese Orte beschrieb, die Edward so gut kannte, stellte er sich vor, wie sie stundenlang wanderte, auf dem Weg zu ihm, und nur manchmal stehenblieb, um stirnrunzelnd auf die Karte zu schauen. All das seinetwegen. Welch ein Geschenk! Noch nie hatte sie so glücklich und so schön ausgesehen wie an diesem Tag. Das Haar war mit einem schwarzen Samtband zurückgebunden; sie trug schwarze Jeans, Turnschuhe, eine weiße Bluse, und im Knopfloch steckte verwegen eine Löwenzahnblüte. Und immer wieder zupfte Florence auf dem Weg zu Edwards Elternhaus an seinem Ärmel voller Grasflecken und bat um noch einen Kuß, wenn auch einen der keuschen Sorte, und ausnahmsweise gab er sich

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