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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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sich brachte. Am Morgen, beim Ankleiden zur Hochzeit (Frack, Zylinder, dazu ein ordentlicher Schuß Eau de Cologne), war er der festen Überzeugung gewesen, daß keine der Berühmtheiten auf seiner Liste solche Zufriedenheit gekannt haben konnte. Allein seine Hochstimmung war schon etwas Großartiges. Da stand er, ein herrlich wunschloser oder doch fast wunschlos glücklicher Mann. Bereits im Alter von zweiundzwanzig Jahren hatte er sie alle übertrumpft.
    Er betrachtete jetzt seine Frau, ihre fein gesprenkelten, haselnußbraunen Augen und deren zartes, milchigblau schimmerndes Weiß. Die Wimpern waren lang und dunkel wie die eines kleinen Mädchens, und auch der würdevolle Ernst ihres Gesichtes strahlte etwas Kindliches aus. Es war ein hübsches, markantes Gesicht, das in bestimmtem Licht an eine Indianerin erinnerte, an eine edle Squaw. Florence hatte ein ausgeprägtes Kinn, und ihr offenes, natürliches Lächeln strahlte bis in die Augenwinkel. Zudem war sie kräftig gebaut - während der Hochzeitsfeier hatten einige Matronen vielsagend von einem gebärfreudigen Becken gesprochen -, und ihre Brüste, die Edward berührt und sogar schon geküßt hatte, wenn auch nicht annähernd oft genug, waren klein. Ihre Violinistenhände waren sehnig und blaß, ebenso die langen Arme; beim Schulsport hatte sie als gute Speerwerferin gegolten.
    Für klassische Musik hatte Edward noch nie viel übrig gehabt, doch lernte er jetzt deren so fröhlich klingende Sprache kennen - legato, pizzicato, con brio. Allmählich und allein durch stupide Wiederholung prägten sich ihm bestimmte Stücke ein, und er begann sogar, sie zu mögen; eines, das Florence oft mit ihren Freunden spielte, ging ihm ganz besonders nah. Wenn sie daheim Läufe und Arpeggios übte, trug sie ein Stirnband, ein reizender Anblick, der ihn von der Tochter träumen ließ, die sie eines Tages vielleicht einmal haben würden. Das Spiel von Florence war geschmeidig, präzise und für seinen satten Ton bekannt. Ein Lehrer versicherte ihr, er habe noch nie zuvor eine Studentin gehabt, die eine Leersaite so warm anklingen lassen konnte. Ob sie vor ihrem Notenständer im Londoner Probenraum oder im Schlafzimmer daheim in Oxford stand und Edward sich auf dem Bett rekelte, sie beobachtete und begehrte - immer hielt sie voller Anmut den Rücken gerade und den Kopf stolz gereckt, während sie die Noten mit herrischer, ihn immer wieder erregender, fast arroganter Miene ablas. Ihr Gesicht strahlte eine solche Gewißheit aus, auf dem Weg zu höchster Erfüllung.
    Wenn es um Musik ging, waren ihre Bewegungen fließend und bestimmt, sei es, daß sie den Geigenbogen kolophonierte, das Instrument neu bespannte oder das Zimmer umräumte, damit Platz für die drei Freunde vom College war - denn dem
    Streichquartett galt ihre ganze Leidenschaft. Dort gab sie unangefochten den Ton an und behielt auch in musikalischen Fragen stets das letzte Wort. Im sonstigen Leben wirkte sie hingegen überraschend ungelenk und unsicher, verstauchte sich bald einen Zeh, stieß etwas um oder schlug irgendwo mit dem Kopf an. Ihre Finger, denen in Bach-Partiten ohne weiteres Doppelgriffe gelangen, waren ebenso begabt darin, eine Tasse Tee auf dem Leinentischtuch umzukippen oder ein Glas auf die Fliesen fallen zu lassen. Wenn sie sich beobachtet glaubte, stolperte sie über ihre eigenen Füße - Edward gestand sie, welche Qual es für sie sei, einer Freundin auf offener Straße aus einiger Entfernung entgegenzugehen. Und wann immer sie besorgt oder schüchtern war, strich sie sich unwillkürlich eine unsichtbare Strähne aus der Stirn, eine fahrige, flatterige Geste, die sie auch dann noch wiederholte, wenn die Aufregung längst vorüber war.
    Wie hätte er sie nicht lieben können mit all ihren rührenden Eigenheiten, ihrer außerordentlichen Ehrlichkeit und Offenheit, sie, deren Gedanken und Gefühle so unmittelbar in ihr Mienenspiel und ihre Gestik einflössen wie ein Strom elektrisch geladener Teilchen? Selbst wenn sie nicht von derart schöner, kräftiger Statur gewesen wäre, wäre er ihrem Zauber erlegen. Doch mit welcher Intensität liebte sie ihn erst, welch quälende, körperliche Zurückhaltung legte sie sich auf. Nicht bloß sein Verlangen wurde dadurch noch gesteigert, daß es nicht ausgelebt wurde, sie weckte auch seinen Beschützerinstinkt. Aber war sie wirklich so wehrlos? Einmal hatte er einen Blick in ihr Schulzeugnis geworfen und das Resultat des Intelligenztestes gesehen:

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