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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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dankbar an, auch wenn mir nicht klar ist, weshalb Sie um einer Fremden willen solche Mühen auf sich nehmen.«
    »Es sind keine Mühen«, versicherte die Gräfin, »ebenso wenig, wie Sie eine Fremde sind, Sarah. Außerdem habe ich jahrelang auf eine Gelegenheit wie diese gewartet. Endlich kann ich diesen Mauern entfliehen und das tun, wonach mir schon immer der Sinn stand. Endlich bin ich dabei, die Fesseln abzuschütteln, die diese Gesellschaft mir auferlegt hat, und ein freier Mensch zu werden – und das verdanke ich ganz allein Ihnen. Also bitte danken Sie mir nicht zu sehr, denn in Wahrheit bin ich es, die zu danken hat.«
    »Sie beschämen mich, Gräfin.«
    »Ludmilla«, verbesserte sie. Sie reichten einander die Hände, und die Gräfin besiegelte das Bündnis, indem sie sich zu Sarah beugte und sie küsste, nicht etwa auf die Wange, sondern auf ihre Lippen. Die Berührung war warm und feucht, jedoch nicht unangenehm, sodass Sarah sich nicht zurückzog, auch wenn ihr etwas an diesem Kuss überaus seltsam erschien – denn für einen kurzen Augenblick war ihr, als wären es tatsächlich die Lippen ihrer Schwester, die sie sanft und zärtlich berührten.
    Sie trennten sich voneinander, und unvermittelt brach Ludmilla von Czerny in ausgelassenes Gelächter aus. Sie klatschte laut in die Hände, woraufhin einer der livrierten Diener erschien, ein Tablett mit vier kleinen Gläsern darauf in den Händen, in denen eine durchsichtige Flüssigkeit schwappte. »Slibovitz«, erklärte sie, während sie sich erhob, »ein Lebenswasser ganz anderer Art. Lassen Sie uns auf unseren Entschluss anstoßen – und auf den Beginn unseres gemeinsamen Abenteuers.«
    »Auf den Beginn unseres Abenteuers«, echoten Cranston und Hingis wie aus einem Munde, während sie nach den Gläsern griffen.
    »Und auf Sarah«, fügte Ludmilla hinzu. »Auf dass sie finde, wonach sie sucht.«
    »Auf dass sie finde, wonach sie sucht«, echote es erneut.
    »Zum Wohl«, sagte die Gräfin.
    »Cheers«, erwiderte Sarah.
    Dann wurden die Gläser geleert.
    Sarah roch den intensiven Geschmack überreifer Zwetschgen und die beißende Schärfe des Alkohols und fühlte plötzlichen Widerwillen. Ohne dass sie eine Erklärung dafür hatte, sträubte sich alles in ihr, den Schnaps zu trinken. Unschlüssig behielt sie das kleine Glas in den Händen.
    »Nanu?«, erkundigte sich Hingis, der seines bereits geleert hatte und dessen Wangen sich daraufhin röteten. »Sie zögern? Wenn ich mich recht entsinne, waren Sie einem guten Tropfen noch niemals abgeneigt …«
    »Das ist wahr«, entgegnete Sarah, deren innerer Widerstand immer noch wuchs, »aber in diesem Fall würde ich gerne davon Abstand nehmen. Bitte sehen Sie es mir nach, Ludmilla.«
    »Aber natürlich.« Die Gräfin lächelte und streckte die Hand aus. »Wenn Sie erlauben, so werde ich an Ihrer Stelle trinken.«
    Sarah gab ihr das Glas, worauf sie es ebenfalls leerte, ohne dass ihre blassen Züge sich auch nur im Ansatz verfärbten. Nur das Blitzen ihrer smaragdgrünen Augen schien ein wenig zuzunehmen.
    »In Ordnung«, meinte Cranston daraufhin, »ich denke, jeder hat genug zu tun. Ich werde nach dem Patienten sehen und anschließend meine Reisevorbereitungen treffen.«
    »Ebenso wie ich«, stimmte Sarah zu. »Außerdem gibt es noch einige Besorgungen, die ich vor unserer Abreise zu machen habe.«
    »Tun Sie das«, sagte die Gräfin. »Antonín wird unterdessen stehenden Fußes zum Bahnhof zurückkehren, die Reservierung des Waggons bestätigen und das Finanzielle regeln. Schließlich haben wir keine Zeit zu verlieren, nicht wahr? Ich schlage vor, dass wir uns hier im Salon wieder treffen – in drei Stunden?«
    »Abgemacht«, sagte Sarah, und da auch Hingis und Cranston zustimmend nickten, war alles gesagt.
    Sarah Kincaid und die beiden Männer verabschiedeten sich, um jeder den eigenen Geschäften nachzugehen, die Gräfin blieb zurück. Kaum hatten ihre neuen Verbündeten den Salon jedoch verlassen, verschwand das milde, zuvorkommende Lächeln aus Ludmilla von Czernys Zügen, als hätte es dort nie einen Platz gehabt.
    Die Gräfin setzte sich wieder und starrte gedankenverloren in die Flammen das Feuers, das im offenen Kamin loderte – auch dann noch, als sich mit einem leise schabenden Geräusch eines der Wandpaneele beiseite schob und ein bislang verborgener Durchgang sichtbar wurde. Die riesige, in einen Umhang gehüllte Gestalt, die daraus hervortrat und sich zu ihr gesellte, würdigte die Gräfin

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