Am Ufer Des Styx
Landroute und benutzen jenen Zug, der seit seiner offiziellen Jungfernfahrt im Oktober vergangenen Jahres fortwährend für Schlagzeilen sorgt und einen Geschwindigkeitsrekord nach dem anderen bricht?«
»Sie sprechen vom Orient-Express«, vermutete Sarah.
»Allerdings.« Die Gräfin nickte. »Hinter diesem zugegebenermaßen etwas schwelgerischen Namen verbirgt sich eine Reisemöglichkeit, die die Bezeichnung ›fortschrittlich‹ tatsächlich verdient hat. Unter günstigen Voraussetzungen bewältigt der Zug die Distanz zwischen Paris und Konstantinopel in nur rund achtzig Stunden.«
»Das ist beachtlich«, erkannte Sarah an, der die langwierige und für Kamal so strapaziöse Reise quer durch das Deutsche Reich noch in lebhafter Erinnerung war. »Deshalb habe ich schon im Zuge meiner Anreise versucht, Plätze auf der Strecke Paris-Wien zu bekommen, was allerdings kurzfristig völlig unmöglich war.«
»Nicht für mich«, erwiderte die Gräfin unbescheiden. »Ich habe mir erlaubt, für einen raschen und reibungslosen Reiseablauf zu sorgen, der gewährleistet, dass Ihr teurer Kamal die Passage nicht nur mitmachen kann, sondern ihm unterwegs auch nicht mehr Unbill widerfährt, als es hier im Palais der Fall wäre.«
»Wie?«, wollte Sarah wissen.
»Ich habe einen Waggon der Compagnie Internationale des Wagons-Lits gemietet, in dem sowohl Ihr Kamal als auch wir übrigen Reisenden aufs trefflichste untergebracht sein werden.«
»Sie meinen einen Schlafwagen?«, fragte Sarah nach.
»In der Tat«, bekräftigte Cranston, »und zwar nicht jene überkommenen Modelle, die auf den anderen Strecken verkehren und in denen anzureisen wir das zweifelhafte Vergnügen hatten, sondern das Modernste vom Modernen.«
»Alles Nötige ist bereits veranlasst«, fügte die Gräfin hinzu. »Ein Wagen der CIWL wird noch im Lauf des Tages für uns bereitgestellt und schon heute Nacht den Prager Bahnhof verlassen. Das Ziel ist Wien, wo der Waggon abgekoppelt und an den Orient-Express angehängt wird. In Budapest, wo der Zug schon wenig später eintreffen wird, wird unser Waggon erneut abgehängt werden und dem Zug nach Belgrad angegliedert.«
»In Semlin, einem kleinen Vorort im Norden der serbischen Hauptstadt, endet die Schienenstrecke«, führte Cranston weiter aus, »deshalb ist unsere gemeinsame Exkursion dort zu Ende. Die Gräfin und ich werden in Belgrad bleiben, während Dr. Hingis und Sie die Reise fortsetzen werden. Über Nisch, Vranja und Usküb gelangen Sie nach Saloniki.«
»Und Kamal?«, wollte Sarah wissen.
»Die Gräfin und Dr. Cranston haben sich bereit erklärt, für die Dauer unserer Abwesenheit in Belgrad für ihn zu sorgen«, erklärte Hingis.
»Es scheint mir der einzig gangbare Weg zu sein«, fügte die Gräfin rasch hinzu. »Die Wagen der CIWL bieten die Möglichkeit, Kamal ein gutes Stück näher an das Heilmittel heranzubringen – ihn jedoch den Strapazen einer Schiffspassage auszusetzen, halte ich nicht für verantwortbar.«
»Von der Warte des Mediziners aus kann ich dem nur zustimmen«, pflichtete Dr. Cranston bei. »Ohnehin ist es erstaunlich, dass der Patient noch am Leben ist.«
»Er ist stark«, stellte Sarah fest.
»In der Tat. Aber dies kann und darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich in einer äußerst instabilen Phase befindet. Schon geringe Veränderungen können katastrophale Auswirkungen haben.«
»Ich denke, es wäre ein brauchbarer Kompromiss«, bekräftigte die Gräfin. »Kamal wäre seiner Heilung in jedem Fall näher als Prag.«
»Das ist wahr«, stimmte Sarah zu und warf einen Blick auf die Karte. »Von Saloniki aus könnten wir uns Pferde oder Kamele nehmen und die Reise Richtung Westen fortsetzen, auf den Spuren Alexanders.«
»Und Herakles’«, fügte Hingis grinsend hinzu. »Was einem antiken Halbgott recht war, soll mir nur billig sein.«
»Tally-ho«, meinte Cranston trocken.
»Wir müssten uns allerdings beeilen«, überlegte Sarah. »Wenn die Bergpässe geschlossen sind …«
»Ich habe nicht behauptet, dass der Plan ohne Risiken wäre«, sagte die Gräfin Czerny, »aber ich denke, er stellt eine gute Alternative dar. Wie steht es also? Wollen Sie das Wagnis eingehen und sich gemeinsam mit uns auf das Abenteuer begeben? Ich muss gestehen, dass ich nicht sehr große Erfahrung darin habe …«
»Das macht nichts.« Sarah schüttelte den Kopf. »Ich danke Ihnen Gräfin, für alles, was Sie für uns getan haben und noch tun wollen – und ich nehme das Angebot
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