Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
erbaulich, fürchte ich«, fuhr sie fort und deutete auf die Bücher und Landkarten auf dem Tisch. »Ich ziehe es vor, mich auf die Mission vorzubereiten.«
    »Genau darüber würde ich gerne mit Ihnen sprechen«, erwiderte Hingis beflissen und schien plötzlich nervös. »Gestatten Sie, dass ich vollends eintrete?«
    »Natürlich«, bestätigte Sarah und wies ihm den Platz am anderen Ende der langen Sitzbank an. »Setzen Sie sich.«
    »Danke.« Sich nach beiden Seiten umblickend, vergewisserte sich der Schweizer, dass niemand auf dem Gang war und ihn beobachtete, dann erst betrat er die Kabine. Die Tür schloss er sorgfältig hinter sich, ehe er Platz nahm.
    »Darf ich Sie etwas fragen, Sarah?«, erkundigte er sich. »Ich erwarte weder, dass Sie mir Ihr Innerstes offenbaren, noch möchte ich jemals annehmen, dass Sie …«
    »Was wollen Sie wissen?«, kam Sarah auf den Punkt. Sie hatten keine Zeit für höfliches Geplänkel.
    »Haben Sie Angst?«, wollte der Schweizer unvermittelt wissen und schien erleichtert, endlich ausgesprochen zu haben, was ihn beschäftigte.
    »Wie darf ich das verstehen?«
    »Ich möchte nur eine Antwort, das ist alles.«
    Ihr Blick verriet Verunsicherung ebenso wie leise Wut. Was, in aller Welt, sollte der Unsinn? Um zu verbergen, wie sehr Hingis’ Frage sie in Unruhe versetzte, wandte sie den Blick ab und starrte zum Fenster hinaus, an dem Telegraphenmasten und entlaubte Bäume vorüberwischten. »Natürlich habe ich Angst«, gestand sie. »Das Leben meines Geliebten hängt am seidenen Faden. Gelegentlich gibt es Momente, in denen ich Hoffnung schöpfe und das Gefühl habe, dass alles gut werden könnte. Aber dann blicke ich in Dr. Cranstons Gesicht und sehe die Sorge darin, und Ernüchterung kehrt ein.« Sie seufzte und wandte den Blick erneut, schaute ihren Begleiter durchdringend an. »Ich habe tatsächlich Angst, Friedrich«, sagte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit. »Angst zu versagen – so wie damals in Alexandrien.«
    »Sie haben damals nicht versagt, Sarah. Sie wurden hintergangen, von einem Menschen, dem Sie vertrauten.«
    »In der Tat.« Sie schnaubte. »Und wissen Sie, was jener Mensch mir mitteilte, als ich ihn im Gefängnis besuchte?«
    »Was?«
    »Er sagte, dass mich diese Reise geradewegs in die Finsternis führen würde«, antwortete Sarah düster. »Und bisweilen habe ich den Eindruck, er hatte Recht damit.«
    »Ebenso wie ich«, stimmte Hingis zu, während sich tiefe Falten auf seiner Stirn bildeten und sich die Brauen über den Rändern der Nickelbrille sorgenvoll zusammenzogen.
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Nun«, meinte der Gelehrte und wetzte unruhig auf der Bank hin und her, während er nach den passenden Worten zu suchen schien, »nach allem, was in Prag geschehen ist, werde ich den Eindruck nicht los, dass sich hinter diesen scheinbaren Zufällen und Zusammenhängen, diesem Gewirr aus geheimnisvollen Andeutungen und versteckten Hinweisen, tatsächlich etwas verbergen könnte. Etwas Großes, Sarah. Etwas sehr Großes, gegen das die versunkene Bibliothek von Alexandria so bedeutungslos ist wie eine Hand voll Staub.«
    »Worauf genau wollen Sie hinaus?«
    »Unsterblichkeit«, antwortete Hingis mit einem Wort. »Darum – und nur darum – geht es. All diese Texte, die wir untersuchten, unabhängig davon, zu welcher Zeit oder in welcher Sprache sie verfasst worden waren, handelten davon, die Grenzen zwischen Leben und Tod willentlich zu verwischen oder sie gar zu überschreiten – ein Menschheitstraum so alt wie die Geschichte selbst.«
    »Damit haben Sie zweifellos Recht«, gab Sarah zu. »Aber ich sehe nicht, was dies mit uns …«
    »Wir alle«, fuhr Hingis fort, »und dabei nehme ich weder Sie noch mich noch Dr. Cranston aus, waren so darauf bedacht, Kamal zu helfen, dass wir darüber andere wichtige Fragestellungen aus dem Auge verloren haben.«
    »Andere wichtige Fragestellungen?« Sarah schaute ihn verwundert an. »Friedrich, mein Geliebter liegt im Sterben. Was könnte wichtiger sein, als …«
    »Wir alle wollen Kamal helfen«, versicherte der Schweizer, »aber wir waren so sehr damit beschäftigt, uns zu fragen, ob wir es könnten, dass wir nicht mehr darüber nachgedacht haben, ob wir es auch tun sollten.«
    »Wie darf ich das nun wieder verstehen?«
    »Sarah«, sagte Hingis, und erneut fiel es ihm sichtlich schwer, die Worte auszusprechen. »Ich weiß, dass Ihnen Kamal mehr bedeutet als Ihr eigenes Leben, und ich weiß auch, dass Sie glauben, an

Weitere Kostenlose Bücher