Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
ihm wieder gutmachen zu müssen, was Sie an Ihrem Vater versäumt haben …«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Natürlich ist es wahr, das wissen Sie so gut wie ich. Obwohl Sie nichts für den Tod Ihres Vaters konnten, geben Sie sich noch immer die Schuld daran, und Sie haben sich geschworen, dass sich so etwas niemals wiederholen wird.«
    Erneut wollte Sarah widersprechen. Sie unterließ es jedoch und dachte einen Augenblick lang über Hingis’ Worte nach – mit dem Ergebnis, dass sie ihm zumindest teilweise Recht geben musste. »Vielleicht«, gestand sie deshalb widerstrebend ein.
    »Aus diesem Grund«, fuhr ihr Begleiter fort, »haben Sie den Blick für das Wesentliche aus den Augen verloren, für das große Ganze.«
    »Tatsächlich?« Sarah hob die Brauen. »Und was ist das große Ganze, wenn es erlaubt ist zu fragen?«
    »Wenn Sie nur einige Sekunden lang ehrlich zu sich selbst wären und die Augen öffnen würden, statt sie vor der Wirklichkeit zu verschließen, so bräuchten Sie diese Frage nicht zu stellen«, konterte Hingis. »Aber vermutlich kennen Sie die Antwort ebenso gut wie ich, auch wenn Sie sie nicht wahrhaben wollen.«
    »Schweigen Sie!«, fuhr Sarah ihn an. »Kein weiteres Wort!«
    »Warum nicht? Weil ich die Wahrheit sage? Weil ich Ihnen einen Spiegel vorhalte und Ihnen nicht gefällt, was Sie darin sehen? Weil Sie tief in Ihrem Herzen ganz genau wissen, dass Sie drauf und dran sind, ebenjenen Fehler zu wiederholen, der Ihnen schon in Alexandrien zum Verhängnis wurde?«
    »Welchen Fehler?«
    »Um einen geliebten Menschen zu retten, lassen Sie sich auf ein gefährliches Spiel ein. Sie folgen den Hinweisen und versuchen, sie in Ihrem Sinn zu deuten – dabei ist offensichtlich, wer Ihnen diese Hinweise gegeben hat. Als wir gefangen waren und uns in der Gewalt des Zyklopen befanden, da sagten Sie etwas, das mich nachdenklich stimmte – nämlich, dass es völlig gleichgültig wäre, was Ihre Feinde von Ihnen verlangen oder welche Ziele sie verfolgen würden, da Ihre einzige Absicht darin bestünde, Ihren Geliebten zu retten.«
    »Und?«
    »Anfangs dachte ich, Sie hätten diese Worte nur gewählt, um unseren Häscher damit zu provozieren. Inzwischen jedoch bin ich davon überzeugt, dass Sie es ernst gemeint haben, und diese Vorstellung, Sarah, ängstigt mich beinahe noch mehr als alles andere. Denn es bedeutet, dass Sie sich dem Feind ergeben haben und willenlos alles tun, was er von Ihnen verlangt – und dass Ihnen die Folgen Ihres Handelns, so unabsehbar sie auch sein mögen, völlig gleichgültig sind.«
    »Was für Folgen?«
    »Kommen Sie, Sarah.« Hingis schüttelte den Kopf. »Sagen Sie mir nicht, dass Sie noch nicht darüber nachgedacht hätten. Sie wissen, dass es die Bruderschaft war, die Ihren Kamal vergiften ließ, und Ihnen war von Beginn an klar, dass alle Fährten, auf die Sie in der Folge gestoßen sind, sorgfältig gelegt waren. Selbst der Golem hat sich als Täuschung herausgestellt, als ein Mittel, um Sie zu ködern.«
    »Und?«
    »Ihre Feinde wollen etwas von Ihnen, Sarah, das ist offensichtlich. Und ich nehme an, dass es mit dem Wasser des Lebens zusammenhängt. Wir wissen beide, dass diese Leute keine Skrupel haben, Sarah, und dass ihre Gier nach Macht und Wissen unersättlich ist. Haben Sie je daran gedacht, dass es ihnen darum gehen könnte, das Geheimnis der Unsterblichkeit zu entschlüsseln? Dass es das ist, was sie von Ihnen erwarten, und dass Sie dabei sind, das vielleicht größte Mysterium des Kosmos an eine Bande von Verbrechern auszuliefern?«
    »Und das sagen ausgerechnet Sie?«, fragte Sarah dagegen.
    »Was soll das nun heißen?«
    »Ich erinnere mich noch gut an Alexandria.« Sarah lachte freudlos auf. »Keine Mühe und kein finanzieller Aufwand war Ihnen zu groß für eine archäologische Sensation. Sie wollten eine Entdeckung, wollten unbedingt die verschollene Bibliothek finden – selbst dann noch, als Sie längst wussten, dass es mehrere interessierte Parteien gab und es dabei um ungleich mehr ging als den Ruhm der Wissenschaft.«
    »Das ist wahr«, gab Hingis unumwunden zu. »So bin ich tatsächlich gewesen – aber das ist vorbei. Ich habe mich verändert«, sagte er mit Blick auf die Prothese an seinem linken Arm. »Der Verlust hat mich verändert«, fügte er leiser hinzu.
    »Genau wie mich«, erwiderte Sarah, jetzt wieder ruhig und beherrscht. »Und aus diesem Grund könnte ich es nicht ertragen, noch einmal einen geliebten Menschen zu verlieren. Können Sie

Weitere Kostenlose Bücher