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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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reaktionsschnell unter einem neuerlichen Hieb ihres Verfolgers hinwegduckte, erreichte sie den Pfosten und kletterte daran hinauf, während unter ihr ein Duell auf Leben und Tod entbrannte.
    Sich auf den Plattformen der beiden Wagen gegenüberstehend, unter denen mit mörderischer Geschwindigkeit die Schwellen der Gleise vorüberwischten, lieferten sich die beiden Hünen einen Schlagabtausch mit ihren mörderischen Waffen. Funken flogen durch die Nacht, wenn die Klingen aufeinander oder auf die Trägerpfosten trafen. Indem er von einem Wagen zum anderen sprang, überraschte Sarahs Retter seinen Gegner schließlich und drängte ihn ins Innere des Waggons zurück.
    Sarah hatte bereits das gewölbte Dach erreicht. War es zwischen den Wagen noch vergleichsweise windstill gewesen, traf der Fahrtwind sie jetzt mit voller Wucht, zudem blies ihr der rußgeschwängerte Rauch aus dem Schlot der Lokomotive entgegen und brachte sie zum Husten. Panisch blickte sich Sarah um, sah zu beiden Seiten der Schienen Bäume vorüberwischen, die ihre entlaubten Äste und Zweige dem bleichen Mond entgegenstreckten.
    Die Furcht, den Halt zu verlieren und vom Dach zu stürzen, befiel sie, zumal es abgesehen von einigen Lüftungsöffnungen und kleinen Kaminen nichts gab, woran sie sich auf dem glatten, nach beiden Seiten abschüssigen Blech hätte festklammern können. Doch ihre Panik trieb sie weiter an und brachte sie dazu, das Dach vollends zu erklimmen, während unter ihr der Kampf auf Leben und Tod andauerte.
    Auf allen vieren kroch sie vorwärts, am ganzen Körper zitternd und Tränen im Gesicht, die ihr der Fahrtwind und der beißende Rauch in die Augen trieben, zu beiden Seiten nichts als gähnende Leere und Dunkelheit, die mit beängstigender Geschwindigkeit an ihr vorbeiraste. Noch vor kurzer Zeit war Sarah die Reisegeschwindigkeit des Zuges unerträglich langsam erschienen, und sie hätte viel dafür gegeben, seine Fahrt zu beschleunigen – jetzt kam ihr das Tempo geradezu mörderisch vor …
    Die eisige Kälte machte ihr zusätzlich zu schaffen. Vorsichtig streckte sie ihre klammen Finger nach dem erstbesten Lüftungspylonen aus, der sich vor ihr auf dem Dach erhob – als eine Unregelmäßigkeit im Schienenstrang dafür sorgte, dass eine Erschütterung den Zug durchlief! Sarahs Hand griff ins Leere, und sie verlor das Gleichgewicht, kippte nach der abschüssigen Seite. Vergeblich suchte sie nach einem Halt. Die ohrenbetäubend ratternde Kluft hätte sie fraglos verschlungen, wäre nicht just in diesem Moment eine Hand zur Stelle gewesen, die sie am Arm packte und festhielt.
    Sarahs Beine baumelten schon über dem Abgrund, als ein Ruck ihren Körper durchlief und sie begriff, dass sie gerettet war. Sie warf sich herum und schaute in Gesichtszüge, deren Haut fleischig rot und von grässlichen Schwielen durchzogen war – das eine Auge darin blickte dennoch mit unerklärlicher Milde.
    »Festhalten«, rief der Zyklop, »ich ziehe Sie herauf …!«
    Das brauchte Sarah nicht zweimal gesagt zu werden. Mit aller Kraft klammerte sie sich an der Hand ihres Helfers fest, der ihr damit schon zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit das Leben rettete – und das, obwohl sie ihm so zugesetzt hatte …
    Sie atmete auf, als sie den Scheitel des walzenförmigen Daches erreichte und sich an einem der kleinen Schlote festhalten konnte, die zumindest ein wenig Sicherheit versprachen. Verwirrt wollte sie ihren Retter fragen, was all dies zu bedeuten hätte – als hinter ihm plötzlich eine zweite hünenhafte Gestalt emporwuchs, die das Dach ebenfalls erklommen hatte, aufrecht auf zwei Beinen stehend, während der Fahrtwind an ihr zerrte.
    »Vorsicht!«, schrie Sarah aus Leibeskräften, und ihr Helfer reagierte – wenn auch in allerletzter Sekunde.
    Denn schon stach die Klinge des Anderen in einem mörderischen Hieb herab. Blitzschnell warf Sarahs Retter sich herum und parierte den Hieb mit der eigenen Klinge, und während Sarah sich zitternd und auf allen vieren kriechend zum nächsten Halt schleppte, dem Ende des Zuges entgegen, entbrannte erneut ein tödliches Duell.
    Der Anblick der beiden Hünen, die einander mit ihren Klingen begegneten, aufrecht stehend und von blauem Mondlicht beleuchtet, war ebenso unwirklich wie atemberaubend. Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen wohnte Sarah dem Kampf bei, der nicht nur über das Schicksal ihres Retters, sondern auch über ihr eigenes entschied …
    Erneut stoben Funken, als die archaischen

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