Am Ufer Des Styx
schüttelte den Kopf. »Sie betrügen sich selbst, Doktor. Die Belohnung, die man Ihnen versprochen hat, werden Sie niemals erhalten. Eine Weile lang, solange Sie nützlich sind, wird man Ihre Dienste in Anspruch nehmen. Aber irgendwann, und dieser Tag ist nicht fern, wird man Ihrer überdrüssig werden und sich Ihrer entledigen, genau wie man es mit Laydon gemacht hat.«
»Mit Verlaub, daran sind Sie nicht ganz unschuldig gewesen«, wandte Cranston ein.
»In der Tat«, sagte sie nur und verließ das Zimmer. Im angrenzenden Raum, einem im orientalischen Stil eingerichteten Salon, wurde sie bereits erwartet. Ludmilla von Czerny und Friedrich Hingis saßen auf glänzenden Seidenkissen, jeder eine Teetasse mit dampfendem Inhalt in den Händen.
Es drehte Sarah den Magen um, Freund und Feind so eng beieinander zu sehen. Wut schoss ihr in die Adern, und sie konnte nicht verhindern, dass sie Hingis gegenüber spontanes Misstrauen empfand. Sofort rief sie sich jedoch zur Ordnung. Genau das war es vermutlich, was die Gräfin bezwecken wollte …
»Tee?«, fragte Ludmilla von Czerny mit provozierendem Augenaufschlag. »Wie ich feststellen musste, ist man in diesem Teil der Welt längst nicht so unzivilisiert, wie ich stets vermutet habe. Die Segnungen eines ordentlichen Getränks sind hier wohlbekannt.«
»Nein danke«, erwiderte Sarah ebenso ruhig wie distanziert.
»Der Tee ist wirklich gut«, versicherte auch Hingis, der in kleinen Schlucken an seiner Tasse nippte.
»Es ist nicht der Tee, der mir nicht schmeckt, sondern die Gesellschaft«, erwiderte Sarah mit einem Blick in Richtung der Gräfin, der soviel Gift enthielt, dass man alle Ratten der Prager Kanalisation damit hätte zur Ruhe betten können.
Es gehörte zu den Regeln dieses seltsamen Spiels, dass man äußerlich die Form wahrte und auf zivilisierte Weise miteinander verkehrte – bis zu einem gewissen Grad war man paradoxerweise ja verbündet und kämpfte für dasselbe Ziel, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen -, aber Sarah sah keinen Grund, die Vertraulichkeit auf die Spitze zu treiben.
Beide wollten sie das Wasser des Lebens: Sarah, um Kamal zu heilen und Wiedergutmachung zu üben in mehr als einer Hinsicht; die Gräfin wollte das Elixier für ihre sinistren Auftraggeber, die nach wie vor im Hintergrund blieben und deren wahre Identität und Absichten Sarah nicht im Ansatz erahnen konnte. Was bezweckte die Bruderschaft des Einen Auges mit jener geheimnisvollen Substanz, nach der schon in antiker Zeit gesucht worden war? Wollten auch sie der Schöpfung ins Handwerk pfuschen, indem sie sich göttliche Fähigkeiten anmaßten und wie weiland Prometheus mit dem Feuer spielten …?
»Ich muss gestehen, meine Liebe, dass ich deinen Aufzug ziemlich lächerlich finde«, kommentierte Ludmilla, während sie an einem Stück Sesamgebäck knabberte, das sie in ihre Tasse getaucht hatte. Die Gräfin trug wie immer ein weites Kleid, bei dem die hellen, lichten Töne bei Weitem überwogen, in, so schien es, krassem Kontrast zu ihrem verdorbenen Charakter.
Sarah hingegen hatte bereits jene Kleider angelegt, die sie auch auf der Expedition tragen würde und die sich auf vorangegangenen Reisen als nützlich erwiesen hatten: eng anliegende, sandfarbene Reithosen, die in kniehohen, ledernen Stiefeln steckten, dazu eine Bluse aus gebleichter Baumwolle, über der sie eine Weste aus weichem Ziegenleder trug, in deren Taschen allerlei nützliche Gegenstände untergebracht waren. Um den Hals hatte sie ein gemustertes Tuch, wie die Wüstensöhne es benutzten und das sowohl vor der stechenden Sonne als auch vor eisigem Wind Schutz bot. Ihr langes Haar hatte Sarah streng zurückgekämmt und hochgesteckt, damit es ihr beim Reiten nicht hinderlich war.
»Er dient seinem Zweck«, erwiderte sie nur.
Auch Hingis war zum Abmarsch bereit. Seiner konservativen Art entsprechend, hatte er sich für einen khakifarbenen Tropenanzug entschieden, mit dem er in den Straßen der Stadt nicht wenig auffiel, denn die türkische Mode mit ihren bunten Kleidern aus Brokat und Seide war vorherrschend. Gewissermaßen als Zugeständnis daran hatte sich der Schweizer entschieden, einen Fes aus rotem Filz zu tragen, der in Anbetracht des wirren Haars, das darunter hervorquoll, allerdings ein wenig deplaciert wirkte.
»Wir werden uns noch heute an der Sammelstelle einfinden«, erklärte Sarah. »Ein Stück außerhalb der Stadt gibt es eine alte Karawanserei, wo unser Führer auf uns wartet. Bei
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