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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Geliebter«, flüsterte sie, »aber ich werde dich niemals, niemals verlassen, hörst du? Was auch immer geschieht, ich liebe dich, und ich verspreche dir, dass ich zurückkehren werde. Ich werde das Heilmittel gegen dein Fieber finden, und du wirst gerettet werden. Vertrau mir, mein geliebter Kamal …«
    Gespannt, fast erwartungsvoll blickte sie auf seine reglose Miene, aber natürlich erfolgte keine Reaktion. Wenn Sarah ehrlich war, so hatte sie sich zumindest ein kleines Zeichen erhofft: ein beschleunigter Pulsschlag, ein Zucken im Augenwinkel, eine sich lösende Schweißperle oder was auch immer. Nicht so sehr, weil sie wissen wollte, ob Kamal sie verstanden hatte, sondern weil sie sich insgeheim fragte, ob er ihr verziehen hatte.
    Denn zumindest daran konnte inzwischen nicht mehr der geringste Zweifel bestehen: Sie und niemand sonst war der Grund dafür, dass Kamal sich in diesem jammervollen Zustand befand. Nur um ihretwillen war er vergiftet worden, und um ihretwillen würde er nun eine weitere Reise auf sich nehmen müssen, deren Strapazen er vielleicht nicht überlebte. Vielleicht – und diese Möglichkeit erschien ihr beängstigend real – würden sie einander niemals wiedersehen …
    »Du musst durchhalten, hörst du?«, sprach sie auf ihn ein. »Du musst durchhalten und auf meine Rückkehr warten, und wenn es nötig ist, dass ich mein Leben gebe, um das deine zu retten, so werde ich auch das tun. Hast du verstanden, mein Geliebter?«
    Erneut bedachte sie sein regloses Gesicht mit einem erwartungsvollen Blick. Tränen traten ihr in die Augen, als ihr die Endgültigkeit des Moments bewusst wurde, und sie beugte sich über Kamal und küsste ihn auf den halb geöffneten Mund. Und für einen kurzen Augenblick – oder war es nur Selbstbetrug, nur eine flüchtige Illusion? – kam es ihr so vor, als würde er ihre Zärtlichkeit erwidern.
    »Leb wohl, Geliebter«, hauchte sie. Dann erhob sie sich von seinem Lager, auf dessen Rand sie sich niedergelassen hatte.
    »Was denn?«, erkundigte sich Cranston mit unüberhörbarer Häme. »Weshalb so betrübt? Sie werden den guten Kamal doch schon bald wiedersehen, nicht wahr?«
    Sarah atmete tief aus und ein. Erst als sie die Tränen abgewischt und sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, wandte sie sich dem verräterischen Arzt zu. »In der Tat«, bestätigte sie und gab sich Mühe, ihre Stimme dabei so fest und entschlossen wie nur irgend möglich klingen zu lassen, »und ich warne Sie, Doktor. Wenn es Kamal bis dahin an irgendetwas fehlen oder ihm bis zu meiner Rückkehr etwas zustoßen sollte, so werde ich Sie und niemanden sonst dafür verantwortlich machen.«
    »Und das bedeutet?«, fragte Cranston gleichmütig. »Wollen Sie mich verklagen lassen? Womöglich durch Jeffrey Hull, diesen senilen Trottel?«
    »Nein«, widersprach Sarah leise, während sie ihn mit Blicken durchbohrte. »Wenn Kamal etwas zustößt, dann werde ich Sie töten.«
    Cranston zuckte mit den Achseln und gab sich unbeeindruckt. Der Kloß, der seinen Hals hinauf- und hinabwanderte, war allerdings deutlich zu sehen. »Was denken Sie von mir?«, fragte er leichthin. »Ich habe schließlich einen Eid geleistet.«
    »Ich auch.« Sarah nickte. »Gerade eben.«
    Damit ließ sie ihn stehen und wollte das Krankenzimmer verlassen. Sie hatte die Türklinke schon in der Hand und stand auf der Schwelle, als er sie noch einmal zurückrief.
    »Sarah?« Aus seiner Stimme sprach die alte Arroganz.
    »Lady Kincaid«, verbesserte sie.
    »Gute Jagd«, sagte er grinsend und winkte ihr zu wie ein Reitersmann hoch zu Pferde. »Tally-ho.«
    »Wieso tun Sie das?«, erkundigte sie sich.
    »Wovon sprechen Sie?«
    »Direktor Sykes hatte Sie als Ehrenmann geschildert. Als jemanden, dem sein gesellschaftliches Engagement mindestens ebenso wichtig ist wie seine wissenschaftliche Reputation.«
    »Klingt für mich nach einem ausgemachten Idioten«, stellte Cranston fest und versuchte sich an einem weiteren Grinsen, das ihm allerdings nicht recht gelingen wollte.
    »Was hat man Ihnen geboten, damit Sie alles verraten, was Ihnen einst wichtig gewesen ist?«, fragte Sarah. »Ansehen? Geld?«
    »Beides«, lautete die entwaffnende Antwort, »und zwar mehr davon, als Sie sich vorstellen können. Die Ambitionen dieser Leute gehen weit, Sarah, sehr weit. Es war unklug von Ihnen, sie sich zum Feind zu machen. Klüger wäre es gewesen, beizeiten zu kooperieren.«
    »So wie Sie?«, fragte Sarah spöttisch.
    »Allerdings.«
    Sie

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