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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Lebens zu finden.
    Sarah lag reglos, umgeben von finsterster Nacht. Weder nahm sie die knirschenden Schritte wahr, die sich ihr näherten, noch den gelben Fackelschein.
    Sie spürte nichts, als grobe Pranken sie packten und mühelos davontrugen, dem Ausgang entgegen – und sie hörte nichts, als sich in der Tiefe des Hügels eine dumpfe Explosion ereignete und den Zugang zur Quelle des Lebens für immer verschloss.

9.
    Als Sarah Kincaid die Augen aufschlug, wähnte sie sich in einer anderen Welt – dass es Friedrich Hingis’ kreidebleiche, von wirrem Haar umrahmte Gesichtszüge waren, in die sie ungläubig blinzelnd blickte, nahm ihr diese Illusion.
    Die Blicke des Schweizer Gelehrten waren unverhohlen besorgt. Die Brille auf seiner Nase, deren linkes Glas von einem Sprung durchzogen war, bebte, wie sie es immer tat, wenn er nervös war.
    »Können Sie mich hören, Sarah?«, fragte er laut und übertrieben deutlich. Jedes einzelne Wort dröhnte in Sarahs Kopf wie eine Hammerschmiede. »Verstehen Sie, was ich sage?«
    »N-natürlich«, entgegnete sie krächzend. Ihr Rachen brannte wie Feuer, und ihre Zunge war zu einem dicken Kloß geschwollen, sodass ihr das Sprechen einige Mühe bereitete, aber immerhin war sie überhaupt noch in der Lage, etwas zu sagen.
    »Sie ist in Ordnung!«, rief Hingis aus, und in einer Geste, die nur durch gefühlsbedingten Überschwang zu entschuldigen war, beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Wange. »Sie ist in Ordnung …!«
    Sarah schloss die Augen.
    Erst allmählich kam sie zu sich, und nach und nach kehrte auch die Erinnerung zu ihr zurück. Das Orakel von Ephyra … der Schacht in die Tiefe … der Eingang zur Unterwelt …
    »I-ich bin dem Kerberos begegnet«, flüsterte sie, worauf die Sorge auf Hingis’ Züge zurückkehrte.
    »Dem Kerberos?«, hakte er nach, als befürchtete er, sie hätte den Verstand verloren.
    »Nur ein Trugbild«, versicherte sie, worauf sein Gesicht sich wieder aufhellte. »Ich habe die Quelle des Lebens gefunden …«
    »Ich weiß«, versicherte der Schweizer.
    »Das Wasser, wo …?«
    »Hier«, beruhigte er sie, auf die Flasche deutend, die neben ihrem Lager stand. »Keine Sorge, es ist alles in Ordnung.«
    »Aber wie … bin ich hierher gekommen?« Verwundert schaute sich Sarah um, sah grob gemauerte, steinerne Wände und eine einfache Dachkonstruktion. Tür und Fensterläden waren geschlossen, eine Laterne verbreitete gelben Schein.
    Das Letzte, dessen sich Sarah entsann, war der unterirdische See. Sie wusste noch, dass sie niedergekniet war, um die Flasche zu füllen – dann jedoch wurden ihre Erinnerungen unklar und verschwommen. Sie erinnerte sich, dass sie – wohl als Folge der von giftigen Dämpfen durchsetzten Luft – Wahnvorstellungen gehabt hatte und dass sie nicht mehr in der Lage gewesen war, Wirkliches von Unwirklichem zu unterscheiden. Aber sobald sie sich Einzelheiten ins Gedächtnis zu rufen suchte, schwoll das Hämmern in ihrem Kopf derart an, dass es jeden Gedankengang unterbrach. Es war, als wehrte sich ihr Bewusstsein mit aller Kraft dagegen, jene Trugbilder noch einmal zu sehen. Sarah stöhnte und griff sich an die Schläfen.
    »Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Hingis.
    Sie nickte, worauf der Schweizer eine Feldflasche mit frischem Wasser an ihre Lippen setzte. »Trinken Sie«, forderte er sie auf. »Das Gift muss aus Ihrem Körper.«
    Sie gehorchte und trank, obwohl ihr nicht danach war. Doch mit jedem Schluck schienen ihre Lebensgeister ein wenig mehr zu erwachen. Offenbar war sie infolge der Dämpfe bewusstlos zusammengebrochen, und es war Hingis gewesen, der ihr gefolgt war und sie gerettet hatte …
    »Danke«, hauchte sie nur.
    »Gern geschehen.« Er lächelte.
    Plötzlich dämmerte ihr, dass sie über Hingis’ Anwesenheit mindestens ebenso überrascht sein musste wie über die Tatsache, dass sie selbst noch am Leben war. Immerhin hatten sie einander auf der Flucht verloren, und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, so hatte sie kaum gehofft, ihn noch einmal lebend wiederzusehen.
    »Wie sind Sie …? Ich meine …«
    »In jener Nacht, als wir flüchteten, habe ich einen Streifschuss abbekommen«, erklärte Hingis und deutete auf einen notdürftigen Verband, den er am rechten Oberarm trug. »Eine verirrte Kugel.«
    »Warum haben Sie nichts gesagt?«, flüsterte Sarah. »Oder wenigstens geschrien …«
    »Weil ich wollte, dass Sie sich in Sicherheit bringen«, erwiderte er schlicht.
    »Das war sehr

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