Am Ufer Des Styx
ist richtig«, stimmte Sarah zu. »Ich bin nach Prag gekommen, weil ich Grund zu der Annahme habe, dass es bestimmte Informationen gibt, die ich hier – und nur hier – erhalten kann.«
»Und um was für Informationen handelt es sich, wenn es erlaubt ist zu fragen? Natürlich möchte ich nicht indiskret erscheinen, aber wenn ich Ihnen helfen soll, wäre es dienlich zu wissen, wonach genau Sie suchen. Herr Hingis machte nur einige Andeutungen bezüglich eines Heilmittels für Ihren erkrankten Gatten …«
»Wir sind nicht verheiratet«, erklärte Sarah und streifte ihren Begleiter mit einem amüsierten Blick – offenbar hatte Hingis es für notwendig befunden, die schockierende Wahrheit ein wenig zu tarnen. Nachdem die Gräfin Czerny ihr gegenüber so offen und ehrlich gewesen war, sah Sarah allerdings keinen Grund, weiter an dieser Taktik festzuhalten. »Kamal ist der Mann, den ich liebe – und den ich keinesfalls verlieren möchte.«
»Sie haben mein ganzes Verständnis und meine ungeteilte Sympathie«, versicherte die Gräfin. »Aber was genau ist es, das Sie in unserer Stadt zu finden hoffen?«
Nachdenklich nippte Sarah an ihrer Teetasse. »Wenn ich Ihnen diese Frage beantworten könnte, Gräfin, wäre ich bereits einen großen Schritt weiter. Was das genaue Ziel meiner Reise betrifft, so tappe ich im Augenblick noch im Dunkeln.«
»Sie wissen also nicht, wonach Sie suchen?«
»Ehrlich gesagt – nein.«
»Und dennoch haben Sie die weite Reise auf sich genommen? Setzen Ihren erkrankten Geliebten den Strapazen einer so langen Fahrt aus?«
»Ich weiß, wie überaus ungewöhnlich sich das anhören muss«, räumte Sarah ein, »und ich kann es Ihnen nicht verdenken, wenn Sie mich für verrückt halten. Aber ich versichere Ihnen, dass es für meine Anwesenheit in dieser Stadt triftige Gründe gibt.«
»So habe ich keinen Anlass, an Ihren Worten zu zweifeln, werte Freundin«, erwiderte die Gräfin ohne Zögern. »Sagen Sie mir nur, wo Sie mit Ihrer Suche beginnen wollen, und ich werde dafür sorgen, dass Ihnen jede nur erdenkliche Hilfe zu Gebote steht.«
»In der Judenstadt«, sagte Sarah frei heraus.
»In der …?« Die bleichen Züge der Gräfin verzerrten sich, sie schien den Namen nicht einmal aussprechen zu wollen. »Was wollen Sie denn an diesem fürchterlichen Ort?«
Anders als Sarah, die sich die ablehnende Reaktion der Gräfin nicht erklären konnte, schien Hingis den Grund dafür zu kennen. »Gräfin haben durchaus richtig gehört«, ergriff er das Wort, »und ich darf Ihnen versichern, dass ich bereits versucht habe, Lady Kincaid dieses Vorhaben auszureden. Aber sie ist überzeugt davon, dass nur dort jene verborgenen Hinweise zu finden sind, deretwegen sie nach Prag gekommen ist.«
»Nun gut.« Ludmilla von Czerny schien sich ein wenig zu beruhigen. »In diesem Fall haben wir wohl keine andere Wahl …«
»Weshalb?«, erkundigte sich Sarah unbedarft. »Was ist denn so schlimm an jenem Ort?«
»Die Josephsstadt«, erklärte die Gräfin düster, »bildet eine eigene Siedlung innerhalb der Grenzen Prags. Längst wird sie nicht mehr nur von Juden bevölkert, sondern von Arbeitern, Tagelöhnern, Bettlern, Obdachlosen und allerlei lichtscheuem Gesindel, das sich in den Gassen herumtreibt. Von all dem Schmutz und Unrat und dem Gestank, der über dem Viertel liegt, ganz zu schweigen.«
»Eine gewisse Ähnlichkeit zum Londoner East End lässt sich nicht leugnen«, fügte Hingis erklärend hinzu.
»Offensichtlich«, sagte Sarah leise.
»Schon am Tag ist ein Gang durch die Josephsstadt gefährlich«, fuhr die Gräfin entrüstet fort, »nach Einbruch der Dunkelheit kommt ein Besuch dort versuchtem Selbstmord gleich. Es vergeht keine Nacht, in der nicht irgendwer mit durchschnittener Kehle in der Gosse endet.«
»Wenn es dort so schlimm ist, wieso unternimmt man dann nichts dagegen?«, erkundigte sich Sarah. »Gibt es keine Polizei?«
»Natürlich«, schnarrte die Gräfin, »und es gab auch schon entsprechende Versuche – aber man könnte ebenso gut versuchen, die Flöhe vom Rücken eines räudigen Köters zu vertreiben. Es ist aussichtslos, verstehen Sie?«
»Durchaus«, versicherte Sarah. Der Vergleich, dessen sich die Gräfin bediente, war wenig damenhaft, dafür aber umso anschaulicher. Wie sie selbst schien auch Ludmilla von Czerny eine Freundin klarer Worte zu sein.
»In den unzähligen Gassen und Winkeln des Viertels versteckt sich mehr Gesindel, als man jemals von dort vertreiben
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