Am Ufer (German Edition)
vorhin die Hunde waren. Die Haufen weisen ihn auf die Quelle des Gestanks hin, den er schon seit einer Weile in der Luft verspürt und den er jetzt umso intensiver wahrnimmt. Zwei der Haufen, die halb im Wasser liegen und mit einer Schlammkruste bedeckt sind, lassen menschliche Umrisse erkennen. Der dritte könnte zu einem versehrten Körper gehören oder aber zu einem, der halb im Sumpf versunken ist, es könnte sich aber auch um einen Tierkadaver handeln, einen Hund, ein Schaf, ein Schwein. Sobald er die Leichen als solche erkannt hat, weiß Ahmed,dass er sofort von hier verschwinden muss. Dies gesehen zu haben macht ihn zum Komplizen von etwas, durchdringt ihn mit Schuld. Sein erster Impuls ist wegzurennen, das würde ihn aber noch verdächtiger machen: Er beginnt, zügig zu gehen, streift die Schilfblätter beiseite, die ihm ins Gesicht schlagen. Immer wieder schaut er nach rechts und links, ob da jemand ist, der ihn gesehen haben könnte, aber er entdeckt niemanden. Es ist unwahrscheinlich, hier auf einen jener englischen oder deutschen Touristen zu stoßen, die am Rande der Landstraße walken, überzeugt davon, etwas für ihre Gesundheit zu tun, während sie all den Dreck schlucken, der aus den Auspuffen von Autos und Lastern quillt; man wird auch kaum einer der mageren Gestalten begegnen, die eher an Junkies als an Sportler erinnern und auf den Pfaden entlang der Wassergräben und Orangenhaine joggen: Diese ganze Fauna, die durch die Plantagen streift und sich dabei verschiedener Varianten der Fitnesstherapie befleißigt, kommt nicht ins Sumpfgelände.
Er entfernt sich in aller Eile, kann aber nicht der Versuchung widerstehen, noch ein paar Mal auf das verweste Stück Fleisch zurückzublicken, Sehnen und Knochen, mit denen der schwarze Hund wieder hingebungsvoll herumspielt, unter den Augen des Schäferhunds, der nach seiner kurzen Flucht zurückgekehrt ist und ihn aus wenigen Metern Entfernung beobachtet. Ahmed schaut aber vor allem zu den schlammbedeckten, halb im Wasser versunkenen Haufen hinüber. Bei seiner überstürzten Flucht bleibt ihm dennoch Zeit, hinter einer der Dünen und halb vom Gesträuch verdeckt die ausgebrannten Reste eines Wagens zu entdecken, was das plötzlich Unheimliche des Orts noch verstärkt. Ihm stockt der Atem. Er schnappt nach Luft, spürt das schnelle Pochen in der Brust, in den Schläfen, an den Handgelenken, ein Summen im Kopf. Irgendwann mal hat Esteban ihm erzählt, dass Verbrecher in den zähen Wassern des Sumpfs die Waffen versenken, mit denen sie eine Straftat begangen haben. Er läuft und schaut, kann aber nicht seine Augen beherrschen, sie scheinen sich verselbständigt zu haben, bewegensich, ohne dass er Richtung und Fokus bestimmen könnte. Sie bewegen sich hierhin und dorthin, zwingen ihn zurückzuschauen. Er schaut wider seinen eigenen Willen, der Blick richtet sich jetzt allerdings nicht mehr auf die Haufen, auch nicht auf die Hunde, sondern auf die Schatten, die hinter dem Röhricht zu lauern scheinen, in den Biegungen des Weges, in den Wellentälern der Dünen. Das Spiel von Schatten und Gegenlicht verwirrt ihn bei jedem Schritt, erzeugt Formen, in denen er Menschen erahnt. Er glaubt sich überwacht. Von den Dünen aus, vom Weg aus, von dem Schilf hinter der Lagune aus, sogar an den Hängen der fernen Berge vermutet er Personen, die diese Szene beobachten. Er hat den Verdacht, heute Vormittag, als er an der Staatsstraße entlangging, die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf sich gelenkt zu haben, auch die der Nutten, die gesehen haben, wie er in den Weg zum Sumpfgelände abbog, die der Kinder, die vor den Hütten spielten, an denen er am Ende des Boulevards von La Marina vorbeigegangen ist, und in eben dem Augenblick, als er sich am liebsten aus der Erinnerung all dieser Menschen löschen würde, fällt ihm ein, dass er in seiner Hast die zwischen den Steinen befestigte Angelrute, das Netz im Wasser und den Korb am Ufer vergessen hat. Er kann seine Sachen nicht dort liegen lassen, für einen Ermittler wäre es ein Leichtes, Angelrute und Netz zu identifizieren; besonders die Angelrute, auf der wahrscheinlich noch das Etikett des Sportgeschäfts klebt, in dem er sie vor sieben, acht Monaten gekauft hat, damals, als er mit Esteban zu angeln begann, also rennt er durch das Röhricht wieder zurück zu dem Ort, den er gerade verlassen hat (jetzt hat er wirklich Angst, er zittert am ganzen Leib), das Schilf mit seinen scharfen Rändern peitscht ihm ins Gesicht, an die
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