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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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Lagune, wo er die sorgfältig mit Steinen gesicherte Angelrute hat stehen lassen. Er wirft das Netz, das er um den Bauch befestigt hatte, und betrachtet die spiegelnde Wasseroberfläche, auf der die Insekten mit ihren dünnen Beinchen geometrische Zeichnungen hinterlassen. In den Korb packt er zwei mittlere Meeräschen und eine eher kleine Schleie. Kein schlechter Tag, das Abendessen für heute ist gesichert.
    Als er sich vorbeugt und wieder das Netz auswerfen will, hört er ein Bellen und Knurren: Nur wenige Meter weiter weg machen sich zwei Hunde ein Lumpenbündel streitig, bellen sich gegenseitig an. Ahmed hebt einen Stein vom Boden, schwenkt drohend die Hand, während er den Hunden mit der anderen den Stock zeigt, den erstets dabeihat, wenn er ins Sumpfgelände geht. Die Hunde schauen nicht einmal zu ihm hin. Sie sind damit beschäftigt, sich anzuknurren, einander die Zähne zu zeigen. Er wirft den Stein. Das Geschoss trifft den Rücken des größeren Tiers, ein Deutscher Schäferhund mit verdrecktem Fell, bei dem man, als er den Kopf bewegt, ein Halsband blinken sieht: einer dieser Hunde, die von Touristen zu Ende der Saison zurückgelassen werden und dann monatelang verwildert herumstreunen, bis sie schließlich vom Tierfängerdienst eingesammelt werden. Als der Stein ihn trifft, winselt der Hund auf und entfernt sich hinkend, was der andere sogleich nutzt, um sich die umkämpfte Beute zu sichern und damit im Gebüsch zu verschwinden. Der Stein hat den Schäferhund am Rücken getroffen, aber der Hund hinkt nicht wegen dieses Schmerzes, sondern weil er mit dem einen verletzten und verkrusteten Hinterlauf nicht auftreten kann. Ahmed vermutet, dass er von einem Wagen angefahren oder in ein Fangeisen geraten ist, sich vielleicht auch in Stacheldraht verfangen hat. Er läuft schwerfällig, und zur Schwerfälligkeit kommt noch sein misstrauisches Verhalten. Während er sich entfernt, schaut er sich ein paar Mal um, als wolle er sich davon überzeugen, dass der Mensch nicht hinter ihm her ist und ihn auch nicht erneut strafen wird. Ein verschreckter, hinkender Hund, doch Ahmed fürchtet, dass er das Bild des Angreifers im blutunterlaufenen Spiegel seiner Augen bewahrt, warum sollte der Hund nicht auf Rache sinnen? Die demutsvolle Haltung straft die Angriffslust Lügen: Der Hund duckt den Kopf, während er mit seinem unregelmäßigen Trott wieder die Flucht aufnimmt. Die Haltung signalisiert Angst, Unterwürfigkeit, ein Tier, das man geschlagen hat, das man hat leiden lassen. Ahmed durchschauert ein Gefühl, in dem sich Mitleid mit Unbehagen mischt, Unbehagen vor etwas Trübem, auf das die Schwären und das Hinken verweisen. Da ist Ekel vor dem Schmutzigen, aber auch Angst vor Grausamkeit, vor der Grausamkeit eines rachsüchtigen Hundes und der Grausamkeit des Menschen oder der Menschen, die ihn malträtiert haben. Bei dem Tier sind Hautfetzenzu sehen, bloßgelegtes, blutverkrustetes Fleisch, Spuren, die auf alte entzündete Wunden hinweisen oder aber auf irgendeine Hautkrankheit. Der andere Hund, kleiner, aber gefährlicher aussehend, hat ein glänzend schwarzes Fell. In seiner Überraschung über die Reaktion des Schäferhundes auf den Steinwurf lässt er bei der Flucht ins Gebüsch das faulige Stück Fleisch, das er sich gerade geschnappt hat, fallen, holt es sich aber gleich wieder zurück. Er hält sich im Röhricht versteckt, nur der Kopf mit den aufmerksam funkelnden Augen schaut heraus, das Stück Aas hängt aus seiner Schnauze. Ahmed, der zu dem Bündel, um das sich die Hunde balgten, neugierig hingesehen hat, betrachtet es nun mit wachsendem Entsetzen, da er in der schwärzlichen Masse bekannte Formen wahrnimmt: Obgleich halb verwest und stellenweise vom Fleisch befreit, ist eine menschliche Hand zu erkennen. Die Neugier drängt ihn, weiter hinzusehen, den Ekel und den Schreck zu besiegen, die seinen Blick von diesem Ding abziehen wollen. Ahmed möchte zugleich sehen und nicht sehen. Er droht dem schwarzen Hund mit dem Knüppel, und der weicht ein Stück zurück. Das Tier knurrt, und obgleich es sich rückwärts ins Gesträuch bewegt, funkelt es ihn wütend an, lässt die Beute nicht los, es sind – jetzt ist sich Ahmed ganz sicher – die Überreste einer Hand. Genau in dem Augenblick, da er sich dessen, was er sieht, sicher ist, weicht sein Blick ab – wieder will er sehen und zugleich nicht sehen – zu ein paar im Schlamm halb versunkenen Haufen in mehreren Metern Entferung, rechts von der Stelle, wo

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