Am Ufer (German Edition)
in den Reiseführern als typisch für die ornamentale mediterrane Flora beschrieben werden: Oleander, Jasmin, Geißblatt, Nelken, Rosen, sowie Beete mit aromatischen Kräutern: Thymian, Oregano, Rosmarin, Salbei. Das Netz der kleineren Landstraßen in der küstennahen Zone hatte den ständigen Verkehr der Laster zu ertragen, die all die Palmen, dicken Johannisbrotbäume und hundertjährigen Ölivenbäume heranschafften, die kaum in die riesigen Transportkübel passten. Die Luft war erfüllt vom metallischen Kreischen jener Lastwagen, die Materialien, Selbstlader, Schuttcontainer ankarrten, und dem Getöse der Tieflader mit den Löffelbaggern und den Betonmischmaschinen. Das Ganze vermittelte den Eindruck eines emsigen Bienenhauses.
Heute, an diesem sonnigen Morgen, wirkt alles ruhig und einsam, kein Kran durchbricht die Linie des Horizonts, kein metallisches Kreischen durchdringt die Luft, kein Pfeifen, kein Hämmern belästigt das Ohr. Als sie zum ersten Mal, nachdem Ahmed arbeitslos geworden war, zusammen im Auto fuhren und Ahmed sagte, er begleite ihn zum Restaurant, weil er bei den Bauten in La Marina Arbeit suchen wollte, lachte sein Freund nur. Arbeit? Du könntest allenfalls als Totengräber für die Selbstmörder arbeiten, spottete Raschid.
Ma keinch al jadima. Oualó.
Es gibt keine Arbeit, nichts. Keine einzige Baustelle in La Marina, nicht mal eine halbe. In den guten Zeiten ließen sich dort die Hilfsarbeiter den Wochenlohnauszahlen und tauchten nicht mehr vor Ort auf, weil man ihnen woanders bessere Konditionen geboten hatte. Jetzt hängen an den Balkonen abwiegelnde Schilder. Jemand, der Arbeit sucht, ist zum lästi gen Insekt geworden. ALLE STELLEN FÜR GÄRTNER- UND INSTANDHALTUNGSARBEITEN BESETZT. WIR SUCHEN KEIN PERSONAL. ANFRAGEN UNERWÜNSCHT steht auf dem Schild an dem Apartmentgebäude neben dem Restaurant. Allenthalben die roten oder schwarzen Lettern: ZU VERMIETEN ZU VERKAUFEN FREI ZU VERMIETEN MIT KAUFOPTION EINMALIGE GELEGENHEIT VIERZIG PROZENT RABATT , darunter jeweils eine Telefonnummer. Im Radio reden sie Morgen für Morgen von der geplatzten Immobilienblase, von der galoppierenden Staatsverschuldung, von Risikozuschlägen, dem Zusammenbruch der Sparkassen, von notwendigen Kürzungen im Sozialbereich und Reformen im Arbeitsrecht. Das ist die Krise. Die Zahl der Arbeits losen in Spanien übersteigt 20 Prozent und kann im nächsten Jahr auf bis zu 25 Prozent steigen. Viele der Migranten leben von Arbeitslosenunterstützung, wie bald auch er, vermutlich in ein paar Tagen, im Arbeitsamt war ihm, nachdem er etliche Formulare ausgefüllt und mehrmals Schlange gestanden hatte, gesagt worden, bis zur ersten Rate werde es noch ein Weilchen dauern. Vor fünf oder sechs Jahren hatte jedermann Arbeit. Der ganze Bezirk eine einzige Baustelle, es sah so aus, als werde kein Zentimeter Grund unbetoniert bleiben. Heute hat die Landschaft etwas von einem verlassenen Schlachtfeld oder einem Waffenstillstandsgebiet. Der Boden mit Unkraut bedeckt, Orangenhaine, die zu Bauland wurden; ungepflegte Obstbäume, viele von ihnen verdorrt; Gartenmauern, die Stücke von Nichts umschließen. Als er nach Spanien, in diese Gegend kam, waren die meisten Hilfsarbeiter am Bau seine Landsleute – auch er fand dann seine ersten Jobs auf Baustellen; später tauchten die Ecuadorianer, Peruaner, Bolivianer und Kolumbianer auf. Jetzt gehen die Marokkaner nach Frankreich, nach Deutschland, und die Lateinamerikaner kehren in ihre Länder zurück, obwohl sie inzwischen die beliebtestenArbeitskräfte sind. Die Unternehmer vertrauen ihnen schon von der Sprache, der Religion und Mentalität her. Dazu kommt, dass seit 2004, seit den Attentaten von Madrid, jeder Verdacht weckt, der aus Marokko kommt (die Mehrzahl der mutmaßlichen Bombenleger waren ja auch Marokkaner) oder etwas mit Islam oder Islamismus zu tun hat. Ahmed meint, dass die Marokkaner selbst dazu beitragen, dieses Misstrauen zu vertiefen und alles schwieriger zu machen. Seine Freunde unter den Maurern, die noch vor ein paar Jahren mit den spanischen Kollegen aus der Kolonne tranken, rauchten und den Joint teilten, erklären sich heute als praktizierende Moslems, weisen gekränkt die Literflasche Bier zurück, die bei der Mittagspause umgeht, und kommen nach Feier abend nicht in die Bar. Sie kommen auch nicht zum Betriebs essen oder verlangen ein Halal-Menü. Einige fordern, dass die Arbeitszeiten dem Ramadan angepasst werden. Hamak und Jamak. Esel und Irre, nennt Ahmed
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