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Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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verfehlten, mich umzubringen - selbst für einen Traum eine verrückte Vorstellung. Es gab keine Sonnenuhren in den Burgen des Chaos, denn es gibt dort keine Sonne. Ich befand mich am Rande eines Innenhofes neben einem hohen dunklen Turm, und ich war nicht in der Lage, mich zu bewegen oder gar mich zu erheben. Über mir stand meine Mutter, Dara, auf einem niedrigen Balkon in ihrer natürlichen Erscheinungsform und sah in ihrer schrecklichen Macht und Schönheit auf mich herab.
    »Mutter!« rief ich. »Befrei mich!«
    »Ich habe dir jemanden zur Hilfe geschickt«, antwortete sie.
    »Und was ist mit Amber?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und mit meinem Vater?«
    »Sprich nicht mit mir über die Toten!«
    Der Zeiger drehte sich langsam in eine Stellung über meiner Kehle und setzte zu einem langsamen, aber beständigen Absinken an.
    »Hilfe!« schrie ich. »Schnell!«
    »Wo bist du?« rief sie, wobei ihr Kopf sich hastig in alle Richtungen wandte und die Augen hin und her schossen. »Wohin bist du verschwunden?«
    »Ich bin immer noch hier!« brüllte ich.
    »Wo?«
    Ich spürte, wie der Zeiger mich seitlich am Hals berührte ...
    Die Vision zerbrach und fiel auseinander.
    Meine Schultern lehnten gegen etwas Nachgiebiges, meine Beine waren vor mir ausgestreckt. Jemand hatte soeben meine Schulter gedrückt, die Hand rieb mir den Hals.
    »Merle, alles in Ordnung mit dir? Möchtest du etwas zu trinken?« fragte eine vertraute Stimme.
    Ich holte tief Luft und seufzte. Ich blinzelte mehrmals. Das Licht war blau, und die Welt war ein Feld aus Linien und Winkeln. Eine Wasserkelle tauchte vor meinem Mund auf.
    »Hier.« Da war Lukes Stimme.
    Ich trank alles.
    »Noch was?«
    »Ja.«
    »Moment.«
    Ich spürte, wie sich sein Gewicht verlagerte, hörte seine sich entfernenden Schritte. Ich betrachtete die diffus beleuchtete Wand einen oder anderthalb Meter vor mir. Ich fuhr mit der Hand über den Boden. Er schien aus demselben Material zu sein.
    Nach kurzer Zeit kehrte Luke zurück und reichte mir die Wasserkelle. Ich leerte sie mit einem Zug und gab sie zurück.
    »Noch mehr?« fragte er.
    »Nein. Wo sind wir?«
    »In einer Höhle - an einem hübschen großen Ort.«
    »Woher hast du das Wasser geholt?«
    »Aus einer Seitenhöhle, dort drüben.« Er deutete in die entsprechende Richtung. »Es gibt dort mehrere Fässer davon. Außerdem jede Menge zu essen. Hast du Hunger?«
    »Noch nicht. Geht es dir gut?«
    »Ich fühle mich ein bißchen zerschlagen«, antwortete er, »aber unversehrt. Anscheinend hast du keine gebrochenen Knochen, und der Schnitt in deinem Gesicht hat aufgehört zu bluten.«
    »Das ist immerhin etwas«, sagte ich.
    Ich rappelte mich langsam auf, und die letzten Traumfetzen verflüchtigten sich, während ich auf die Beine kam. Dann sah ich, daß sich Luke abgewandt hatte und sich entfernte. Ich ging ihm mehrere Schritte nach, bevor mir einfiel, mich zu erkundigen: »Wohin gehst du?«
    »Dort hinein«, antwortete er und streckte die Schöpfkelle deutend aus.
    Ich folgte ihm durch eine Öffnung in der Wand in eine kalte Höhle, die etwa die Größe des Wohnzimmers meiner früheren Wohnung hatte. Vier große Holzfässer standen an der Wand zu meiner Linken, und Luke ging zu dem nächststehenden Faß, um die Schöpfkelle an dessen oberen Rand zu hängen. An der gegenüberliegenden Wand standen große Stapel von Kartons und Haufen von Säcken.
    »Konserven«, erklärte er. »Obst, Gemüse, Schinken, Lachs, Gebäck, Süßigkeiten. Mehrere Kartons mit Wein. Ein Coleman-Herd. Jede Menge Sterno. Sogar eine oder zwei Flaschen Cognac.«
    Er drehte sich um und hastete an mir vorbei, wieder durch die Halle zurück.
    »Wohin jetzt?« fragte ich.
    Doch er bewegte sich sehr schnell und antwortete nicht. Ich mußte mich beeilen, um mit ihm Schritt zu halten. Wir kamen an mehreren Abzweigungen vorbei, bevor er anhielt und nickte.
    »Da drinnen ist die Latrine. Nur ein Loch mit einigen Brettern drüber. Es empfiehlt sich, sie bedeckt zu halten, wäre mein Vorschlag.«
    »Was, zum Teufel, ist das?« fragte ich.
    Er hob die Hand. »Das wird dir in einer Minute klarwerden. Hier entlang.«
    Er verschwand eilends um eine saphirblaue Ecke. Ziemlich orientierungslos folgte ich in dieselbe Richtung. Nach mehrmaligem Abbiegen und einmaligem Umkehren hatte ich mich völlig verirrt. Luke war nirgendwo zu sehen.
    Ich blieb stehen und lauschte. Kein Laut außer meinen eigenen Atemzügen.
    »Luke? Wo bist du?« rief ich.
    »Hier oben«, antwortete

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