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Ambient 03 - Ambient

Ambient 03 - Ambient

Titel: Ambient 03 - Ambient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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der einzige Überlebende.
    Es gab niemanden, für den ich lieber gearbeitet hätte als für Mister Dryden. Dann veränderte sich sein Ausdruck, er verdüsterte seinen Blick und schloß die Jalousien seines Geistes.
    »Wir machen es kurz«, sagte er und marschierte forschen Schrittes auf die Buchhandlung zu, als wäre sie etwas, was nur er zu sehen der Mühe wert fand. Wenn er sich so bewegte, handelte er nach dem nervösen Impuls des Augenblickes und der Aufwallung seines Jähzornes. Das Gebäude, in dem die Buchhandlung sich befand, war mindestens hundert Jahre alt. Das Innere des Ladens hatte eine hohe Gewölbedecke, eine verglaste Schaufensterfront, eine Galerie mit schmiedeeisernem Geländer, die über Wendeltreppen zugänglich war, und im Hintergrund eine prachtvolle marmorne Treppe mit glänzenden Messinglaternen, die zum Obergeschoß führte. Das Betreten des Ladens verführte selbst den durchschnittlichen Besitzer zu der Einbildung, daß auch er lesen könne. Avalon ging mir voraus; beim Gehen spannten und entspannten sich die Muskeln ihrer Beine und Hüften. Das Drycosiegel, eine grinsende Visage (in früherer Inkarnation, wie man mir sagte, als ein ›glückliches Gesicht‹ bekannt), war auf ihre rechte Gesäßhälfte tätowiert; es schien mich in hämischer Schadenfreude anzugrinsen. Der Geschäftsführer der Buchhandlung kam pflichtschuldig herbeigeeilt, als der Türsteher das Stahlgitter aufsperrte.
    »Mister Dryden«, sagte er, »wie schön, Sie nach so langer Zeit zu sehen.«
    Vorige Woche waren wir zuletzt dagewesen. Mister Dryden kaufte im Monat ungefähr sechzig Bücher. Er durchblätterte sie und warf sie weg, nachdem er sie in den Datenspeicher – wie er es auszudrücken pflegte, wobei er sich an die Stirn tippte – eingegeben hatte. Ich bezweifelte inzwischen, daß er überhaupt aufnahm, was er in dieser Weise las.
    »Suchen Sie etwas Besonderes?« fragte der Geschäftsführer.
    »Nein«, sagte Mister Dryden und suchte die umlaufende Galerie des Ladens nach versteckten Attentätern ab; ich hatte mich bereits vergewissert. »Bedienung her.«
    »Jawohl, Sir«, sagte der Geschäftsführer, klatschte in die Hände und wandte sich zu seinem Assistenten. »Bedienung, bitte!«
    »Bedienung!« rief der Assistent. Ein Bursche mit Brille kam und stand vor uns. Ich war anderthalb Köpfe größer und vierzig Jahre jünger.
    »Bedienung hier«, sagte er.
    »Neu?«
    »Ich bin seit sechzehn Jahren hier, Sir.«
    Mister Dryden legte dem Angestellten die Hände auf die Schultern und spuckte ihm ins Gesicht. Seine Stimmung war in letzter Zeit unausgeglichen.
    »Dann hopp!«
    »Jawohl, Sir.«
    Wir gingen zu den Ausstellungsregalen. Während Mister Dryden durch die Gassen schlenderte, wählte er seine Bücher aus und warf sie dem Angestellten zu, der sie mit der Leichtigkeit angeborenen Talents auffing. Ich wanderte voraus.
    Mister Dryden machte kehrt – unbeabsichtigt, nehme ich an – und stieß auf eine ältere Dame, die einen Hut mit Gesichtsschleier trug. Er hüstelte mehrere Male, als müsse er sich räuspern. Weder sie noch ihr Leibwächter rührten sich von der Stelle. Er nickte mir zu. Ich ging hinüber und nahm vor den beiden Aufstellung.
    »Du willst Verdruß?« fragte ihr Leibwächter, der mit verschränkten Armen an der Regalwand lehnte, hinter sich Biographien von Proust und Reagan. »Tu concedes, chocho?«
    Ich bin trotz allem eine friedfertige Seele, und dies kam mir sofort wie ein Bluff vor, lang in der Theorie und kurz in der Praxis. Ich blickte zu Mister Dryden und wartete auf ein weiteres Kopfnicken. Der Leibwächter kratzte sich am Kinn und betrachtete mich abschätzend, wie eine Pflaume, die es zu pflücken gilt; ich war darauf vorbereitet, gepflückt zu werden. Um die Voreiligen und Unfähigen zu verlocken, trage ich Ohrringe – schwarze Kruzifixe aus Onyx an goldenen Ringen. Wenn er mich bei einem Ohr packte, würde er finden, daß meine Kunststoffohren angeklebt waren. Der Gesundheitsdienst hatte meine Originale vor Jahren entfernt, als Enid – meine Schwester, eine Ambient – dieses Verfahren vorgeschlagen hatte. Es ist die Art eines Ambient, zu bluffen – und dann, falls erforderlich, ein Ende zu machen. Darin war sie meiner Verfahrensweise ähnlich, obwohl ich zu der Zeit überzeugt war, daß das Leben der Ambients nichts für mich sein konnte.
    Mister Dryden, der wie immer in Gedanken schien, schüttelte den Kopf. Der Leibwächter und ich verbeugten uns leicht voreinander und

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