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Ambler-Warnung

Ambler-Warnung

Titel: Ambler-Warnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ludlum
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den nur hin und wieder eine schwache kühlende Brise streicht. Ein politischer Kandidat, der mitten im Satz durch eine kleine, gut verdämmte Sprengladung getötet wird. Vor wenigen Augenblicken hatte er noch engagiert und leidenschaftlich gesprochen; jetzt lag er in einer Lache seines Blutes auf dem hölzernen Podium. Er hob den Kopf, blickte ein letztes Mal über die Menge hinaus und fixierte dabei einen einzelnen Mann: einen chang bizi – einen Weißen. Den einzigen Menschen, der nicht kreischte, weinte oder flüchtete. Den einzigen Mann, der jetzt nicht überrascht
wirkte, denn die Detonation war schließlich sein Werk. Der Kandidat starb, während er den Mann anstarrte, der übers Meer gekommen war, um ihn zu töten. Dann wölbte sich das Bild auf, verschwamm, wurde zu gleißendem Weiß.
    Ein weit entferntes Glockensignal, ein Dreiklang in Moll, ertönte aus einem unsichtbaren Lautsprecher, und Hal Ambler öffnete seine vom Schlaf leicht verklebten Augen.
    War es wirklich Morgen? In dem fensterlosen Raum konnte er das nicht beurteilen. Aber dies war sein Morgen. Die in die Decke eingelassenen Tageslicht-Leuchtstoffröhren wurden in der folgenden halben Stunde stetig heller: eine technologische Morgendämmerung, deren Intensität durch die Weiße seiner Umgebung noch gesteigert wurde. Damit begann zumindest ein Scheintag. Amblers Zelle maß drei mal dreieinhalb Meter; der Fußboden war mit weißen Vinylfliesen ausgelegt, die Wände mit weißem PVC-Schaum beschichtet, der sich gummiartig zäh anfühlte und unter Druck wie eine Ringermatte leicht nachgab. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis die Schiebetür mit ihrem hydraulischen Seufzen zur Seite glitt. Er kannte diese Abläufe und noch Hunderte dieser Art. In einem Hochsicherheitstrakt strukturierten sie das Leben, wenn man es überhaupt »Leben« nennen konnte. Er durchmaß Zeiten grimmiger Klarheit, aber auch Intervalle, die von Fluchtfantasien geprägt waren. Und im weitesten Sinn hatte er das Gefühl, er sei entführt worden, nicht nur sein Körper, sondern auch seine Seele.
    Im Verlauf seiner fast zwanzigjährigen Tätigkeit als Geheimagent war Ambler zweimal in Gefangenschaft geraten – in Algerien und Tschetschenien – und hatte längere Zeit in Einzelhaft gesessen. Er wusste, dass die Umstände für tiefsinnige Gedanken, Seelenerforschung oder philosophische Grübelei ungünstig waren. Vielmehr füllte sich der Verstand
mit Bruchstücken von Werbespots, Popsongs, halb vergessenen Gedichten und einem übersteigerten Bewusstsein für kleine Unbequemlichkeiten. Die Gedanken kreiselten, trieben ziellos dahin und berührten selten interessante Themen, denn sie blieben letztlich an die eigenartige Qual der Isolation gefesselt. Seine Ausbilder beim Geheimdienst hatten versucht, ihn auf solche Extremsituationen vorzubereiten. Die Herausforderung bestehe darin, hatten sie immer wieder betont, den Versand daran zu hindern, sich selbst anzugreifen wie ein Magen, der seine Magenwand verdaut.
    Aber auf Parrish Island befand er sich nicht in der Hand von Feinden; er wurde von seiner eigenen Regierung festgehalten - von dem Staat, dem er fast zwanzig Jahre lang gedient hatte.
    Und er wusste nicht, warum.
    Weshalb eine solche Einrichtung überhaupt existierte, war ihm keineswegs ein Rätsel. Als Agent eines als Consular Operations bezeichneten US-Nachrichtendiensts hatte er von der Klinik auf Parrish Island gehört. Ambler verstand auch, wieso es eine Einrichtung dieser Art geben musste; niemand war gegen die Verirrungen des menschlichen Geistes gefeit, auch Geheimnisträger nicht. Aber es war gefährlich, jedem beliebigen Psychiater Zugang zu solchen Patienten zu gewähren. Diese Lektion hatten die US-Geheimdienste im Kalten Krieg teuer bezahlt, als ein in Berlin geborener Psychoanalytiker in Alexandria, zu dessen Klientel mehrere Spitzenbeamte zählten, als Informant der berüchtigten Stasi, des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit, enttarnt worden war.
    Das alles erklärte jedoch nicht, weshalb Hal Ambler sich hier befand, seit . . . wie lange war das nun schon her? In der Ausbildung war ihm eingebläut worden, wie wichtig es ist, in der Haft das Zeitgefühl nicht zu verlieren. Irgendwie hatte er
es doch verloren, und seine Fragen nach der Haftdauer blieben unbeantwortet. War er ein halbes Jahr, ein Jahr oder noch länger hier? Es gab so vieles, was er nicht wusste. Sicher wusste er nur, dass er durchdrehen würde, wenn ihm nicht bald die Flucht

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