Ambler-Warnung
sich mit bloßen Händen aus einem Grab, als kralle, schlängele, zwänge er sich durch eine Widerstand leistende Masse. Jede Faser seiner Muskulatur schrie nach einer Erholungspause, aber er wusste, dass dazu keine Zeit blieb.
Endlich gelangte er aus dem Wäscheberg auf einen harten Betonboden und war . . . wo? In einem heißen, niedrigen Keller, in dem Waschmaschinen rumpelten und dröhnten. Er drehte den Kopf zur Seite. Am Ende einer langen Doppelreihe weiß emaillierter Industrie-Waschmaschinen waren zwei Frauen damit beschäftigt, eine Trommel zu füllen.
Ambler rappelte sich auf, überquerte den Gang zwischen den Waschmaschinen und zwang dabei seine zitternden Muskeln zur Disziplin. Falls er gesehen wurde, musste sein Schritt selbstbewusst wirken. Sobald die Wäscherinnen ihn nicht mehr sehen konnten, blieb er neben einer Reihe von Wäschekarren mit Segeltuchwänden stehen und begutachtete seine Umgebung.
Er wusste, dass Kranke mit einem schnellen Motorboot aufs Festland transportiert wurden, das bald herüberkommen würde, wenn es nicht bereits angelegt hatte. In diesem Augenblick wurde der Infarktpatient wahrscheinlich auf einer Trage festgeschnallt. Sollte Amblers Fluchtplan die geringste Chance auf Erfolg haben, musste er dringend weiter.
Er musste es schaffen, auf dieses Boot zu gelangen.
Was bedeutete, dass er irgendwie die Anlegestelle erreichen musste. Ich will nicht hier sterben – er hatte nicht nur an Laurel
Hollands Mitgefühl appellieren wollen, als er das gesagt hatte. Er hatte die Wahrheit gesagt, vielleicht die wichtigste Wahrheit, die er kannte.
»He!«, rief eine Stimme. »Scheiße, Mann, was haben Sie hier zu suchen?«
Die lächerliche Autorität eines kleinen Kontrolleurs: eines Mannes, dessen Leben daraus bestand, dass er nach oben buckelte und nach unten trat.
Ambler zwang sich zu einem unbekümmerten Lächeln, als er sich einem kleinen Glatzkopf mit käsigem Teint zuwandte, dessen Augen wie eine Uberwachungskamera in ständiger Bewegung waren
»Nicht aufregen, Kumpel«, sagte Ambler. »Ich schwör’s, ich hab nicht geraucht.«
»Sie halten sich wohl für witzig?« Der Kontrolleur kam auf ihn zu. Er warf einen Blick auf den Dienstausweis an Amblers Hemdtasche. »Können Sie Spanisch? Ich kann Sie nämlich zur Putzkolonne versetzen lassen, Sie . . .« Er verstummte jäh, als er erkannte, dass das Foto auf dem Dienstausweis nicht mit dem Gesicht des vor ihm Stehenden übereinstimmte. »Ach du Scheiße«, flüsterte er.
Dann tat er etwas Seltsames: Er wich blitzschnell zehn bis zwölf Schritte zurück und hakte ein Gerät von seinem Gürtel los. Das war der Sender, mit dem der Lähmgurt aktiviert wurde.
Nein! Das musste Ambler verhindern. Wurde der Gurt aktiviert, würde eine Schmerzwoge über ihn hereinbrechen, er würde sich zuckend und von Krämpfen geschüttelt auf dem Boden winden. Dann wären alle seine Pläne vergeblich gewesen. Er würde hier sterben: als namenloser Gefangener, als Spielball von Mächten, die er nie verstehen würde. Weil sein Unterbewusstsein eine Zehntelsekunde schneller reagierte als
sein Bewusstsein, griffen Amblers Hände wie aus eigenem Antrieb nach der flachgedrückten Getränkedose in seiner Hüfttasche.
Abnehmen konnte er den Lähmgurt nicht. Aber er konnte das flache Blech unter den Gürtel schieben . . . und das tat er jetzt mit aller Kraft, ohne sich darum zu kümmern, dass eine scharfe Blechkante ihm die Haut aufschürfte. Nun lagen die beiden Elektroden des REACT-Gürtels auf elektrisch leitendem Metall.
»Willkommen in einer Welt aus Schmerzen«, sagte der Kontrolleur ruhig, als er den Knopf drückte, mit dem der Lähmgurt aktiviert wurde.
Aus dem Gurt hinter Amblers Rücken drang ein knisterndes Summen. Sein Körper war nun nicht mehr die widerstandsärmste Verbindung zwischen den beiden Elektroden; die bildete jetzt die flachgedrückte Blechdose. Es roch nach versengtem Nylon, dann erstarb das Summen.
Der Gürtel war kurzgeschlossen.
Ambler verfolgte den Flüchtenden, holte ihn rasch ein und rang ihn zu Boden. Der Kopf des Mannes schlug auf den Beton, und er ließ ein leises, benommenes Stöhnen hören. Ambler erinnerte sich daran, was einer seiner Ausbilder bei Consular Operations immer gesagt hatte: Pech ist nur die Kehrseite des Glücks. Jedes Missgeschick ist eine Chance . Das war nicht gerade logisch, aber Ambler hatte die Richtigkeit dieser Behauptung oft schon intuitiv erkannt. Die Abkürzung unter dem Namen des Mannes
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