Ambler-Warnung
hier bin.« Eine kurze Pause. »Glaubt ihr, dass es ein Zufall ist, dass sie darauf bestehen, jedem Boot, das die Insel verlässt, zur Sicherheit einen zusätzlichen Mann mitzugeben? In
den letzten vierundzwanzig Stunden haben wir immer wieder gerüchteweise von einem geplanten Fluchtversuch gehört.«
»Das hätten sie uns auch sagen können«, knurrte der Wachmann mürrisch.
»Das ist nicht die Art Gerücht, die in der Klinik geschätzt wird«, wehrte Ambler ab. »Muss gleich mal nach dem Toten sehen.« Er hastete nach achtern in die Heckkabine unter Deck. Links neben der Tür befand sich ein schmaler Werkzeugschrank, der in den Frachtraum des Innenrumpfs eingelassen war. Der Schrank enthielt nichts außer ein paar verölten Lappen auf dem Boden. Auf dem schachbrettartig gemusterten Stahlboden stand die fahrbare Krankentrage mit dem durch Gurte mit Klettverschlüssen gesicherten Toten; er wirkte aufgedunsen, wog mindestens hundertzehn Kilo, und die Leichenblässe war unverkennbar.
Was tun? Er würde schnell reagieren müssen, bevor die anderen sich dazu entschlossen, ihm zu folgen.
Zwanzig Sekunden später kam er in die Kabine gestürmt.
»Sie!«, sagte Ambler, indem er anklagend auf den Sanitäter deutete. »Sie haben gesagt, dass der Patient tot ist. Was für’n Bockmist war das? Ich hab ihm die Hand an den Hals gelegt, und raten Sie mal, was ich gespürt hab? Der Kerl hat einen Puls – genau wie Sie und ich!«
»Reden Sie keinen Unsinn«, wehrte der Sanitäter aufgebracht ab. »Dort unten liegt ’ne gottverdammte Leiche.«
Ambler atmete noch immer keuchend. »Eine Leiche, die Puls siebzig hat? Das wäre was ganz Neues!«
Der Wachmann drehte den Kopf zur Seite, und Ambler konnte sehen, was er dachte: Dieser Kerl scheint zu wissen, wovon er redet. Damit war Ambler vorübergehend im Vorteil, den er ausnutzen musste.
»Spielen Sie da mit?«, fragte Ambler, indem er den Sanitäter mit anklagendem Blick fixierte. »Haben Sie sich kaufen lassen?«
»Was zum Teufel soll das heißen?«, fragte der Sanitäter verdutzt, während die roten Flecken auf seinem Gesicht noch deutlicher hervortraten. Die Art, wie der Wachmann ihn musterte, brachte ihn noch mehr auf, und alles zusammen bewirkte, dass sein Tonfall defensiv und unsicher klang. Er wandte sich an den Wachmann. »Becker, du glaubst doch nicht etwa, was dieser Kerl behauptet? Ich weiß, wie man einen Puls fühlt, und das ist ’ne gottverdammte Leiche, die wir da auf der Trage haben.«
»Zeigen Sie’s uns«, verlangte Ambler grimmig und ging nach achtern voraus. Das Pronomen uns war wirkungsvoll, das wusste er; unausgesprochen zog es eine Linie zwischen dem Mann, den er beschuldigte, und den anderen. Ambler musste dafür sorgen, dass alle unsicher blieben; er musste Misstrauen und Zwietracht säen. Sonst würde der Verdacht sich auf ihn konzentrieren.
Er sah sich um und stellte fest, dass der Wachmann mit gezogener Pistole die Nachhut bildete. Die drei Männer gingen um die Plattformen über den Querstreben herum und näherten sich der Heckkabine. Der Sanitäter stieß die Tür auf, dann fragte er verblüfft: »Was zum Teufel ...?«
Die beiden anderen spähten in die Kabine. Die Trage war umgestürzt, die Klettverschlüsse der Gurte waren gelöst. Die Leiche war verschwunden.
»Sie verdammter Lügner!«, rief Ambler aufgebracht aus.
»Das versteh ich nicht«, sagte der Sanitäter fassungslos.
»Nun, wir verstehen’s recht gut, denke ich«, sagte Ambler in eisigem Tonfall. Damit nutzte er eine raffinierte syntaktische Fügung: Je öfter er von »wir« sprach, desto mehr wuchs
seine Autorität. Sein Blick streifte die Tür des Werkzeugschranks. Er konnte nur hoffen, dass niemandem auffallen würde, wie die Tür sich wölbte.
»Willst du mir erzählen, dass ein Toter hier von selbst rausgekommen ist?«, fragte der Wachmann mit dem Bürstenhaarschnitt, indem er sich an den Südstaatler mit dem Lockenkopf wandte. Dabei hielt er seine Pistole fest umklammert.
»Wahrscheinlich ist er nur über die Bordwand gerutscht, um ein bisschen zu schwimmen«, feixte Ambler. Rühr die Trommel für dein Szenario; verhindere, dass sie auf andere Gedanken kommen. »Das hätten wir nicht gehört und bei diesem Nebel auch nicht gesehen. Von hier aus sind’s drei Meilen bis zur Küste – gut zu schaffen, wenn man flott krault. Typisches Leichenverhalten, stimmt’s?«
»Das ist verrückt! «, protestierte der Sanitäter. »Ich hab nichts damit zu schaffen! Das
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