Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
hat der Kerl getan?« fragte er seinen Vater.
Emerson nahm ein zerknülltes Stück Papier aus seiner Jackentasche. Als er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte, rief er: »Pah!« und hätte es weggeworfen, wenn ich es ihm nicht entrissen hätte.
Die Mitteilung war offensichtlich mit verstellter Handschrift geschrieben worden und lautete: »Haltet euch von Grab 20-A fern.«
»Was bedeutet das, Emerson?« wollte ich wissen.
Emerson ignorierte meine Frage. »Ramses, hat Yussuf den Mann gesehen, der den Zettel in meine Jackentasche geschoben hat? Denn vermutlich hast du doch in erster Linie Blumen bei ihm gekauft, um ihn das zu fragen.«
»Wieso? Nein, Vater«, sagte Ramses aufrichtig. »In erster Linie wollte ich meiner Mutter und meiner Schwester eine Freude machen. Allerdings habe ich Yussuf während unseres Handels gefragt, denn schließlich stand er dir am nächsten, und aufgrund deines überraschten Aufschreis und deiner Haltung dachte ich, daß vielleicht irgend jemand versucht hätte, deine Geldbörse zu entwenden oder …«
Während der letzten Jahre hatte Ramses versucht, seine unglückliche Neigung zur Langatmigkeit zu überwinden, aber gelegentlich wurde er von Rückfällen geplagt. Deshalb sagte ich automatisch: »Sei still, Ramses.«
»Ja, Mutter. Kann ich die Notiz sehen?«
Ich zeigte sie allen. »Wie merkwürdig«, murmelte Nefret. »Was bedeutet das, Professor?«
»Verflucht, wenn ich das wüßte«, sagte Emerson.
Er nahm seine Pfeife und fing an, sie zu stopfen. Ich beugte mich nach vorn. »Emerson, du gibst dich absichtlich rätselhaft und provokant, um nicht zu sagen geheimnisvoll. Deine Angewohnheit, Dinge vor uns – besonders vor mir – zu verbergen, geht entschieden zu weit. Du weißt sehr gut …«
»Es ist eine Drohung«, entfuhr es Nefret. »Oder eine Warnung. Oh – entschuldige, daß ich dich unterbrochen habe, Tante Amelia. Ich bin vor Aufregung ganz außer mir. Welches Grab ist denn damit gemeint, Professor? Gehört es zu denen, die du dieses Jahr freilegen willst?«
Wir alle warteten mit angehaltenem Atem auf Emersons Antwort. Zu seiner ärgerlichen kleinen Angewohnheit gehörte es, die Stätten unserer zukünftigen Ausgrabungsarbeiten bis zum letztmöglichen Augenblick geheimzuhalten. Er hatte nicht einmal mich informiert. Das tat er auch jetzt nicht. »Wir werden heute abend über diese Angelegenheit diskutieren«, sagte er ausweichend. »Ich habe keine Lust auf einen unangenehm lauten Streit in der Öffentlichkeit.«
Vor Empörung blieb mir beinahe die Luft weg. Emersons Stimme ist die lauteste von allen, und Emerson ist auch derjenige, der sich am ehesten in Streitereien verwickelt. Sein scheinheiliger Gesichtsausdruck machte mich wahnsinnig.
David, wie immer der Friedensstifter, hörte, wie ich nach Atem rang, und legte mir fürsorglich einen Arm um die Schultern. »Ja, laßt uns das Geschäftliche für später aufheben. Erzählt mir von Tante Evelyn und Onkel Walter und den Kindern – es ist schon so lange her, seit ich sie gesehen oder etwas von ihnen gehört habe.«
»Sie lassen dich selbstverständlich ganz herzlich grüßen«, erwiderte ich. »Evelyn hat dir jede Woche geschrieben, aber ich glaube nicht, daß du alle ihre Briefe bekommen hast.«
»Die Post ist unzuverlässig in der Wüste«, sagte David mit einem Lächeln. »Sie fehlen mir sehr. Aber sie haben ihre Meinung nicht geändert, ob sie diese Ausgrabungssaison hierherkommen?«
»Irgend jemand mußte in London bleiben, um die Vorbereitung des letzten Bandes der Publikation über das Grab der Tetisheri zu überwachen«, sagte ich. »Das ist der Band mit den Bildtafeln, weißt du, und da Evelyn verantwortlich für die Gemälde war, wollte sie sichergehen, daß sie korrekt reproduziert werden. Walter arbeitet am Index für die Objekte und Inschriften.«
David wollte mehr Informationen über seine Pflegefamilie erfahren. Er war der Enkelsohn unseres Rais Abdullah, war aber praktisch von Emersons Bruder Walter adoptiert worden und verbrachte die Sommer mit den Kindern der Emersons, lernte Englisch und Ägyptologie und der Himmel weiß was noch alles. Er war ein außergewöhnlich intelligenter junger Bursche, der Informationen wie ein Schwamm aufsaugte. Er war auch ein begabter Künstler. Als wir ihm das erste Mal begegneten, stellte er gefälschte Antiquitäten für einen der größten Betrüger in Luxor her, aber wir waren ihm dabei behilflich, sich dessen negativem Einfluß zu entziehen. Seine Eltern
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