Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
des Orient-Instituts, für seine Hinweise, wie im Tempel von Luxor ein tödlicher Anschlag verübt werden könnte, zu Dank verpflichtet. Wann immer diese hervorragenden Hinweise jedoch nicht in die Handlungsstränge paßten, habe ich sie gelassen ignoriert.
Vorwort
Die Herausgeberin ist erfreut, der Welt der Wissenschaft bekanntzugeben, daß vor kurzem eine weitere Sammlung von Emerson-Papieren aufgetaucht ist. Im Gegensatz zu den Aufzeichnungen von Mrs. Emerson repräsentieren diese keine logisch zusammenhängende Schilderung, sondern ein bunt zusammengewürfeltes Konglomerat aus Briefen, fragmentarischen Aufzeichnungen bislang unbekannter Personen sowie nicht näher bezeichneten Manuskriptteilen.
Mancher hofft, daß eine weitere Durchsuchung des vermodernden, alten Gemäuers, aus dem diese Sammlung stammt, weiteres Material zu Tage fördert, unter anderem auch die fehlenden Bände der Tagebuchaufzeichnungen von Mrs. Emerson. Wie dem auch sei, die gegenwärtige Herausgeberin rechnet damit, in den kommenden Jahren vollauf damit beschäftigt zu sein, diese Papiere zu sichten, zusammenzustellen, zu ergänzen und die endgültige Kommentierung dieser interessanten Fragmente vorzunehmen. Die Relevanz vieler der Tagebuchaufzeichnungen von Mrs. Emerson ist im Augenblick noch ungewiß. Eine intensive Textanalyse sowie Reisen zu den entlegensten Plätzen dieser Erde werden dafür erforderlich sein, ihren chronologischen Bedeutungsgehalt innerhalb der Erzählung zu bestimmen. Trotzdem scheinen gewisse Teile dessen, was die Herausgeberin als »Manuskript H« bezeichnet, in den Kontext des vorliegenden Bandes zu passen. Sie ist erfreut, diese im folgenden der werten Leserschaft zugänglich zu machen.
1. Kapitel
Ehemännern macht es nichts aus, wenn ihnen widersprochen wird. In der Tat ist mir ein solches Exemplar noch nicht begegnet.
Heutzutage«, sagte ich, »wimmelt Kairo wirklich von Touristen – und teilweise von der übelsten Sorte! Es ist tragisch, wenn ich mit ansehen muß, daß ein solch ehrwürdiges Hotel wie das ›Shepheard‹ diesen Vertretern der männlichen Spezies gestattet, am Eingang herumzulungern und den weiblichen Gästen schöne Augen zu machen. Ihr Benehmen ist absolut skandalös.«
Mein Ehemann nahm seine Pfeife aus dem Mund. »Das Benehmen der Dragomane oder das der weiblichen Gäste? Amelia, wir befinden uns im zwanzigsten Jahrhundert, und ich habe schließlich des öfteren bemerkt, welche Verachtung du dem rigiden Moralkodex unserer verblichenen Majestät entgegengebracht hast.«
»Das Jahrhundert ist erst drei Jahre alt, Emerson. Ich war immer ein rigoroser Anhänger von gleichen Rechten für alle, aber manche davon sollten nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit verfolgt werden.«
Wir saßen auf der berühmten Terrasse des »Hotel Shepheard« und nahmen unseren Tee ein. Das strahlende Licht der Novembersonne wurde von den aufwirbelnden Staubwolken der Wagenräder, Esel- und Kamelhufe, die den Shari’a Kamel passierten, nur wenig getrübt. Zwei hünenhafte montenegrinische Türsteher in scharlachrot und weiß gehaltenen Uniformen, in deren Schärpen Pistolen steckten, waren nur mäßig erfolgreich bei dem Versuch, ankommende Gäste vor den Belästigungen der Verkäufer von Fliegenwedeln, Scarabäusimitationen, Postkarten, Blumen und Feigen – sowie vor den Dragomanen – zu schützen.
Alleinreisende Touristen warben oftmals eines dieser Individuen an, damit sie ihre Reisevorbereitungen übernahmen und ihre Dienstboten überwachten. Sie sprachen alle eine oder sogar mehrere europäische Sprachen – je nach Mode –, und sie legten großen Wert auf ihr äußeres Erscheinungsbild. Elegante Dschellabas und kunstvoll gewickelte Turbane oder Kopfbedeckungen, wie sie die Beduinen trugen, verliehen ihnen eine romantische Aura, der sich ausländische Besucher nicht entziehen konnten – und hier im besonderen, wie es mir zu Ohren gekommen war, die weiblichen Besucher.
Ich beobachtete, wie ein Paar seine Kutsche verließ und sich der Treppe näherte. Es konnten nur Engländer sein; der Herr trug ein Monokel und einen Spazierstock mit Goldknauf, mit dem er gereizt auf die Menge der zerlumpten Händler eindrosch, die ihn bedrängten. Die Dame hatte ihre Lippen geschürzt und stolzierte hochnäsig neben ihm her, doch als sie an einem der Dragomane vorüberschritt, musterte sie ihn mit einem verstohlenen Blick unter dem Rand ihres blumengeschmückten Huts hinweg und nickte bezeichnend. Er hob zwei
Weitere Kostenlose Bücher