Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
englischer Manier auf die Schulter. »Vielleicht wirst du das eines Tages.«
»Gott behüte«, sagte David ernst.
Am Samstag konnten wir unsere Arbeit wieder aufnehmen – allerdings nicht die in Grab 20-A. Nachdem seine Lage und seine Ausmaße katalogisiert worden waren, hatte Emerson angeordnet, daß der Eingang zugeschüttet werden sollte. Er war wieder zu seinem ursprünglichen Plan zurückgekehrt, und wir wollten an diesem Tag mit Nummer 44 beginnen. Mein Bein war immer noch etwas steif, deshalb paßte er seine Schritte rücksichtsvoll den meinen an und ließ die Kinder vorausgehen. Ramses hatte Sekhmet über eine Schulter drapiert. Er hielt sie am Hinterteil fest, so daß sie nicht abrutschen konnte, und ich konnte ihr Gesicht betrachten, das aussah, als habe sie ein glückseliges Lächeln aufgesetzt.
»Ich bin erleichtert, daß er sich des armen Tieres letztlich doch annimmt«, bemerkte ich. »Sie hat sich hartnäckig an ihn gehängt.«
»Du bist hoffnungslos sentimental, Peabody«, sagte Emerson. »Der Katze ist es verflucht egal, wer sich um sie kümmert, solange sie nur versorgt ist.«
»Sie braucht Ramses vielleicht nicht, aber er braucht sie«, sagte ich. »Jetzt kann auch der arme Anubis zurückkehren. Er war eifersüchtig, weißt du.«
»Auf mich? Unsinn.« Aber er wirkte trotzdem gerührt. Anubis hatte ihm an diesem Morgen eine Ratte gebracht, das erste Mal seit Wochen, daß er ihm eine solche Aufmerksamkeit zuteil werden ließ.
»Wir haben eine ganze Reihe von Katzen um uns gehabt, in der einen oder anderen Form«, sagte ich scherzhaft. »Mrs. Jones’ Vorname ist Katherine, und sie erinnert einen an eine Tigerkatze. Ich glaube, daß Cyrus einen solchen Kosenamen für sie hat, wenn sie … äh … wenn sie allein sind. Er ist ihm im Gespräch einmal irrtümlich herausgerutscht.«
»Das ist ein Allgemeinplatz und eine ziemlich infame Beobachtung«, wies mich Emerson zurecht. »Männer, die Frauen verachten, sprechen von ihnen als Katzen oder Kätzchen; es überrascht mich, wenn du so etwas gutheißen kannst.«
»Es gibt Schlimmeres, womit man verglichen werden kann«, erwiderte ich. »Habe ich dich nie an …«
»Niemals, meine Liebe. An eine Tigerin vielleicht, aber noch nie an etwas so Harmloses wie eine Hauskatze.«
Der Klang von Nefrets Lachen drang zu uns, und Emerson grinste. »Es ist schön, sie so nett und friedfertig zu sehen. Du mußt doch ebenso stolz auf sie sein wie ich.«
»Jetzt bist du sentimental, Emerson.«
»Ein bißchen Gefühl ist doch nichts Verwerfliches«, erklärte Emerson und drückte meinen Arm gegen seine Hüfte. »Ich bin einer der glücklichsten Männer, Peabody, und ich schäme mich nicht, das zuzugeben. Ich könnte mir für unsere Kinder nichts Besseres wünschen, als daß sie das gleiche Glück finden, das ich mit dir gefunden habe.«
Ein Schauer durchlief meinen Körper.
»Nun, was ist los?« wollte Emerson wissen. »Zum Teufel mit dir, Peabody, ich dachte, mein freundliches kleines Kompliment würde dir gefallen. Wenn du irgendwelche negativen Vorahnungen oder Prophezeiungen auf Lager hast, behalte den verfluchten Mist für dich, verdammt!«
Er war wieder ganz der Alte, seine blauen Augen strahlten vor Temperament. Ich lachte und stützte mich auf seinen Arm, und die gute Laune war wiederhergestellt.
Ich brauchte keinen außergewöhnlichen Weitblick für die Erkenntnis, daß auch die schöne, ungezwungene Jugend von Angst und Trauer überschattet werden kann; aber es war keine meiner berühmten Vorahnungen, die diesen unwillkürlichen Schauer ausgelöst hatte.
Bis Emerson sprach, hatte ich nicht mehr an den Traum gedacht.
Ich hatte die drei genauso wie jetzt gemeinsam im Sonnenlicht spazierengehen sehen, und ein strahlendblauer Himmel hatte sich über ihnen gewölbt. Langsam und unmerklich hatte sich der Himmel von Azurblau über sämtliche Grauschattierungen in ein tiefdunkles Grau verwandelt, bis schließlich der gesamte Himmel mit schwarzen Sturmwolken übersät war. Von Norden und Osten hörte man das Donnergrollen, und ein gigantischer zuckender Blitz bohrte sich in die bedrohlichen Wolkenmassen. Er umhüllte sie wie ein Tau aus lebendem Licht, band sie zusammen, wie die rächenden Schlangen Laokoon und seine Kinder umschlungen hatten.
Ich brauchte keinen Dr. Freud oder einen ägyptischen Traumpapyrus, um die Bedeutung dieser Vision zu verstehen. Wann sie zur Realität werden würde, wußte ich nicht. Aber daß sie real werden würde, daran
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