Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
den Behörden ausgeliefert, nachdem er Tante Amelia das Leben gerettet hat?«
Emerson dachte über diese Frage nach. »Wesentlich lieber wäre mir die Genugtuung gewesen, diesen Burschen zu Brei zu schlagen – und ihn zu zwingen, die aus dem Grab geraubten Gegenstände zurückzugeben. Hat er dir gesagt, worum es sich im einzelnen handelte, Peabody?«
Ich schüttelte den Kopf, und Ramses meinte nachdenklich: »Vielleicht sind wir in der Lage, die fehlenden Gegenstände zu bestimmen, wenn wir die nach meinem ersten Besuch in der Grabkammer erstellte Liste mit dem noch vorhandenen Inventar vergleichen.«
»Ned kann das sicherlich auch, oder?« fragte ich. »Möglicherweise«, sagte Ramses. »Aber ich wage zu behaupten, daß sein Erinnerungsvermögen nicht ganz so gut ausgeprägt ist wie meins.«
Falsche Bescheidenheit ist mit Sicherheit kein Wesenszug, worunter Ramses leidet. Da seine Feststellung zweifellos richtig war, gab es keinerlei Einwände.
»Auf den Fotografen fällt kein Verdacht«, fuhr Ramses fort. »Bildlich gesprochen sind in den letzten Tagen Scharen von Leuten im Grab ein und aus gegangen, einschließlich Mr. Davis’ Leuten. Letztlich müssen wir Sethos dankbar sein, daß er Kunstschätze davor bewahrt hat, zerstört oder von weniger geschickten Dieben geraubt zu werden. Es würde mich nicht wundern, wenn gewisse Objekte auf den Antiquitätenbasaren auftauchten.«
Das war in der Tat der Fall. Howard Carter war ausgerechnet derjenige, dem in Luxor Goldstaub und Schmuckfragmente gezeigt wurden. Der Bursche bot sie Mr. Davis für vierhundert Pfund und das Versprechen der Immunität an. Mr. Davis, so wurde mir berichtet, war tief verletzt über die fehlende Loyalität seiner Arbeiter.
Aus Manuskript H
»Was wird der Professor eurer Ansicht nach tun?« fragte David.
Zum erstenmal seit dem Debakel um Davis’ Grab fanden sie die Gelegenheit zu einer heimlichen Zusammenkunft. Nefret hatte beschlossen, das als Anlaß zum Feiern zu nutzen. Sie hatte es aufgegeben, so zu tun, als schätzte sie Whiskey. Statt dessen hatte sie eine Flasche Wein und süßes Gebäck von Fatima organisiert. Sie trafen sich in Ramses’ Zimmer, da Horus Nefrets Bett in Besitz genommen hatte und keinen der beiden jungen Männer in den Raum ließ.
Ausgestreckt in seinem Lieblingssessel, die Füße auf eine niedrige Truhe gelegt, zuckte Ramses die Schultern. »Erst wenn sein verfluchter Plan fix und fertig ist, wird er uns davon erzählen. Aber ich denke, ich kann es erraten. Er wird uns unsere Abschriften vom Seti-Tempel fertigstellen lassen, während er gemeinsam mit Mutter und Nefret nach einer weiteren Ausgrabungsstätte für das kommende Jahr Ausschau hält.«
»Warum denn mit mir?« wollte Nefret wissen. Sie hockte im Schneidersitz auf dem Bett, und die blaue Seide ihres Gewandes umwehte sie wie eine Wassernymphe im Bade. »Ohne mich wären sie viel vergnügter, und ich könnte euch hier behilflich sein.«
»Du weißt doch genau, warum«, sagte Ramses schroff. »Die Leute würden reden.«
»Sei doch nicht so mürrisch. Ich weiß, daß sie reden, und es ist mir egal. Du meine Güte, welch eine Plage die ›Leute‹ doch sind.«
»Stimmt«, gab Ramses zu. »Ich rechne damit, daß wir früher als geplant nach Hause zurückreisen werden. Das wird einen Menschen besonders glücklich machen.«
David hatte nicht einmal zugehört. Mit halbgeschlossenen Lidern und geschürzten Lippen befand er sich in einem seligen Tagtraum.
»Wach auf«, sagte Ramses verständnisvoll. Er streckte einen seiner Stiefel aus und stupste David an der Schulter.
»Ich habe es gehört. Glaubst du das wirklich?«
Nefret lachte. »Überlaß ihn mir, David. Wie oft hast du ihr seit ihrer Abreise geschrieben?«
»Jeden Tag. Aber Briefe sind nicht sehr –« Er brach ab und starrte sie an. »Woher hast du das?«
Nefret zündete ein Streichholz an und hielt es ans Ende einer langen, schlanken Zigarre, die sie zwischen ihren Zähnen balancierte. Ihre Wangen blähten sich auf, als sie daran paffte.
»Von Mr. Vandergelt«, schloß Ramses, während er die Sessellehne umklammerte und seine Stimme zu kontrollieren versuchte. »Ich wollte sie probieren«, erklärte Nefret nach vier Streichhölzern und einem Hustenanfall. »Ich weiß nicht, was daran so lustig ist. Mr. Vandergelt hat ebenfalls gelacht, mir jedoch geschworen, es Tante Amelia nicht zu verraten. Also, ich weiß nicht. Warum riechen sie so viel besser, als sie schmecken?«
»Du bist es nicht
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