Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
gehen lassen?«
Jumana sah sie verwundert an, und Ramses’ Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Sicherlich hatte er Nefret in der Nacht von dem Plan erzählt. Sie hatte ihn wahrlich besser erzogen als ich Emerson!
Fatima rauschte mit zwei voll gepackten Körben herein, und wir gingen zum Stall, wo Daoud bereits mit dem Stallknecht plauderte und Selim mit den Pferden. Er war ein hervorragender Reiter und hatte sich während unserer Abwesenheit um die prächtigen Araber gekümmert. Risha und Asfur waren Geschenke von einem befreundeten Beduinen an Ramses und David. Die Zahl ihrer Nachkommen, darunter auch Nefrets Stute Moonlight, war mit den Jahren beträchtlich angewachsen.
»Nehmen wir die Pferde?«, erkundigte ich mich. Ich kannte die Antwort, noch ehe Emerson den Kopf schüttelte. Er hatte sich mit Selim und Daoud im Stall verabredet, damit ich sie nicht sehen sollte! Trotzdem schienen sie keineswegs überrascht über mein Auftauchen. Selim begrüßte mich mit einem wissenden Lächeln. Er und Daoud hatten Seilrollen umgeschlungen. Und mich beschlich das unangenehme Gefühl, dass wir diese Seile auch brauchen würden, wenn die von Emerson ausgesuchte Strecke selbst für die Pferde zu beschwerlich war.
Ich habe die thebanischen Berge schon viele Male bestiegen, bei Tag und bei Nacht. Diese Klettertour ist herrlich bei Vollmond – die zerklüftete Silhouette wie eine Symphonie von Silber und Schatten. Der erste Teil des Aufstiegs war mir vertraut und nicht schwierig – von der Ebene hinter Deir el-Bahari hinauf zum Scheitelpunkt des Plateaus und über den Weg, der vom Arbeiterdorf ins Tal der Könige führte. Wie oft hatte ich schon dort gestanden und auf das Panorama von Tempeln und Dörfern hinabgeschaut, Wüste und Kulturland, die Wasser des Nils funkelnd im Sonnenlicht! Es war ein geheiligter Ort; denn als unser geschätzter und inzwischen verstorbener Rais Abdullah älter wurde, hatte ich nach dem Aufstieg häufig Erschöpfung vorgegeben, sodass er Halt machen und zu Atem kommen konnte. Wenn ich gelegentlich von ihm träumte, sah ich ihn stets vor dieser Kulisse.
Schwierig sich vorzustellen, dass eine dermaßen unwirtliche Felsenlandschaft wie die Wadis der Westwüste von Wassermassen geschaffen wurde, die über die Klippen des hohen Plateaus in die Ebenen strömen. Ich glaube, ich kann den werten Lesern besagtes Gebiet (das nichts gemein hat mit den Sandwüsten der Sahara) am besten beschreiben, indem ich das Plateau mit einem Pflaumenkuchen vergleiche, den man auf eine Tortenplatte gelegt hat (das Niltal). Stellen Sie sich nun vor, dass irgendein Ungeheuer seine gewaltigen Krallen in diese Leckerei gebohrt und wieder herausgezogen hat und da bei Bruchstücke und Krümelhaufen hinterlässt.
(Als Emerson zufällig diese Passage meiner Aufzeichnungen las, merkte er an, dass – nach seinem Dafürhalten – kein rational denkender Mensch einen so absurden Vergleich ziehen könnte. Nach meinem Dafürhalten handelt es sich um ein gutes und durchaus aufschlussreiches Beispiel.)
Pfade schlängeln sich kreuz und quer durch die Ebenen und über den Gebel; manche sind relativ leicht zu überwinden, andere eher geeignet für Ziegen. Allerdings folgten wir diesen Letzteren, denn wann immer Emerson die Wahl hat zwischen einer leichteren, längeren Strecke und einer beschwerlicheren Direktroute, entscheidet er sich für das Zweite. Ich musste seiner Führung vertrauen, da ich diese Wege nicht kannte, aber diverse Anhaltspunkte vermittelten mir einen generellen Eindruck von unserer Marschroute. Über uns erhob sich der pyramidenförmige Gipfel des Qurn; daneben, darunter und dahinter befanden sich Schluchten jeder Größenordnung, wie auch das Tal der Könige und das der Königinnen. Als wir weitergingen, über abschüssige Abhänge und klaffende Klüfte kraxelten, wurde die Landschaft wilder und faszinierender, aber selbst in dieser entlegenen Gegend hatte die Menschheit – sowohl des Altertums als auch der Neuzeit – ihre Spuren hinterlassen: ein Stück Zeitung, vermutlich die Umhüllung irgendeines Lunchpakets, Geröll von verfallenen Hütten, Tonscherben und Tierknochen. Nach einem einstündigen Gewaltmarsch überzeugte ich Emerson von einer kurzen Rast und einem Schluck Wasser. Die Aussicht war atemberaubend, wenn auch eintönig – Steine, Geröll und Felsen, das Blau des Him mels der einzige Farbtupfer.
»Emerson, bist du auch ganz sicher, dass du diesen Weg kennst?«, erkundigte ich mich, mein
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