Amelia Peabody 15: Der Herr des Sturms
Redseligkeit; Fatima, Abdullahs Schwiegertochter, die unersetzbare Haushälterin der Emersons; Kadija, Daouds Frau, die eine erstaunlich wirksame grüne Salbe herstellte; und natürlich David Todros.
Wie Amelia ausführt, haben die Ägypter eine Schwäche für Spitznamen. Die Emersons anscheinend auch. Ramses und Lia werden durchweg mit diesen Namen erwähnt; insgeheim schätzte Amelia ihren schmeichelhaften Beinamen Sitt Hakim, Frau Doktor, allerdings fühlte sie sich gleichermaßen geschmeichelt von der Angewohnheit ihres Mannes, sie mit ihrem Geburtsnamen Peabody anzureden, zum Zeichen von Gleichberechtigung und Zuneigung. Emerson verabscheute seinen Vornamen und zog seinen Nachnamen oder seinen ägyptischen Beinamen Vater der Flüche vor (der, wie seine bessere Hälfte einräumt, absolut zutreffend war, trotz ihrer Bemühungen, ihm das Fluchen abzugewöhnen). Nefret war vielen Ägyptern als Nur Misur, »Licht von Ägypten«, bekannt. Die weniger blumige, ägyptische Bezeichnung für ihren Mann lautete Bruder der Dämonen. Indes war sie als Kompliment für dessen Tarnungsgeschick und Sprachbegabung gemeint.
Ein weiteres Familienmitglied verfügte über einen schier unerschöpflichen Vorrat an Pseudonymen. Nach ihrer ersten Begegnung mit Sethos, alias der Meisterverbrecher oder Meister, sahen Amelia und Emerson in ihm ihren Erzfeind – als Drahtzieher des illegalen Antiquitätenhandels in Ägypten und im östlichen Mittelmeerraum und als Emersons Nebenbuhler um Amelias Zuneigung. So war es ein entsetzlicher Schock für sie (und zugegebenermaßen auch für die Herausgeberin), als sie feststellen mussten, dass er Emersons illegitimer Halbbruder war. Während des Ersten Weltkrieges läuterte er sich, indem er als Geheimagent diente, eine Rolle, die ihm aufgrund seines Tarnungsgeschicks und seiner Kenntnis des östlichen Mittelmeerraums auf den Leib geschneidert war. Ramses, der ähnliche Talente hatte, ließ sich ebenfalls vom Geheimdienst rekrutieren und übernahm mehrere heikle Missionen in Ägypten und im Mittleren Osten. Sein bester Freund, David, unterstützte ihn bei einer dieser Kampagnen; die Herausgeberin vermutet, dass David zumindest an einer weiteren teilnahm, aber bedauerlicherweise bleiben diverse Tagebücher aus den Kriegsjahren weiterhin verschollen. Sethos wurde zur Verblüffung aller – außer Amelia (die sich seine Bekehrung auf die Fahne schreibt) – ein guter Freund und Mitstreiter.
Und jetzt, werte Leser, hat der Erste Weltkrieg geendet, und die Familie stellt sich auf das lang ersehnte Wiedersehen ein. Die Saga geht weiter!
1. Kapitel
Die glutrote Sonne versank allmählich hinter den Gipfeln der thebanischen Berge. Einer jener prachtvollen ägyptischen Sonnenuntergänge flammte am Horizont wie ein himmlisches Feuer.
Wenn ich ehrlich bin, nahm ich besagtes Schauspiel in diesem Augenblick gar nicht wahr, denn ich schaute gerade nach Osten. Allerdings hatte ich bereits hunderte von Sonnenuntergängen gesehen, und dank meiner herausragenden Fantasie schwebte mir das entsprechende mentale Bild vor. Mit zunehmender Dunkelheit wurden die Schatten der Holzgitter, die Türen und Fenster bedeckten, länger und verzerrter, legten sich wie die Streifen eines Tigers über die beiden Gestalten, die auf dem Boden hockten. Eine von ihnen sagte: »Spociba.«
»Russisch«, murmelte Ramses, der auf seinem Notizblock herumkritzelte. »Gestern war es Amharisch. Vorgestern klang es wie …«
»Völliger Quatsch«, sagte seine Frau.
»Nein«, beharrte Ramses. »Es muss eine Bedeutung haben. Sie benutzen Wortstämme aus etwa einem Dutzend Sprachen, und ganz offensichtlich verstehen sie einander. Siehst du? Er nickt. Sie stehen auf. Sie gehen …« Er hob die Stimme. »Lasst die Katze in Ruhe!«
Die Große Katze des Re streckte sich hinter ihm auf dem Diwan, erhob sich geschmeidig, sprang ihm auf den Kopf und von dort auf ein Bücherregal. Ramses legte seinen Notizblock beiseite und sah die beiden vor ihm stehenden Gestalten streng an. »Die Katze ist verboten. Kedi, hayir. Em nedjeroo pa meeoo.«
Die Große Katze des Re fauchte zustimmend. Als wir ihn bekamen, war er ein abgemagertes Kätzchen gewesen, indes hatte Sennia darauf bestanden, ihm diese bombastische Bezeichnung zu geben, und – wider Erwarten – war er in seinen Namen förmlich hineingewachsen. Er unterschied sich sehr von unseren anderen Katzen: langhaarig, mit einem gewaltigen, buschigen Schwanz und schwarzen Flecken auf grauem Fell.
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