Amelia Peabody 16: Wächter des Himmels
kümmern.
Freundschaft kann Trennung verkraften. Ein Freund will immer das Beste für seinen Freund. Nur Verliebte sind egoistisch.
»Ich habe mir überlegt, dieses Jahr in Deutschland bei Erman zu studieren«, sagte er ohne Umschweife. Nefrets Kiefer klappten auseinander. »Das heißt – du willst diesen Herbst nicht mit uns nach Ägypten?«
»Ich kann ja wohl kaum an zwei Orten gleichzeitig sein.«
Sie streckte ihm die Zunge heraus. »Und wieso das?«
»Ich brauche fundiertes linguistisches Fachwissen, akademische Anerkennung. Und ein Studienabschluss in Berlin würde mir dazu verhelfen.« Die Argumentation ging ihm so glatt von der Zunge, weil er eine ganze Weile geübt hatte, zur Vorbereitung auf die Aussprache mit seinem Vater. »Ich habe eine ganze Menge von Onkel Walter gelernt, aber Erman gehört zu den Besten seines Fachs, und er vertritt einen völlig anderen Ansatz. Im Hinblick auf meine bisherige Arbeit geht er davon aus, dass ich innerhalb eines Jahres meinen Doktor machen kann. Die Exkavation ist zwar mein Steckenpferd, aber ich werde nie so gut werden wie Vater. Mein Hauptinteresse gilt nun mal der Philologie.«
»Hmmm.« Nefret rieb sich das Kinn, unbewusst den Professor imitierend, wenn er tief in Gedanken war.
»Junge, Junge, das ist ja ‘ne Mordsüberraschung! Aber warum machst du so ein Geheimnis daraus? Deine Ambition ist doch verständlich.«
Bis zu diesem Augenblick hatte er vermutlich insgeheim gehofft, sie würde versuchen, ihm dieses Vorhaben auszureden. Offenbar störte sie der Gedanke an eine längere Trennung nicht besonders. Freunde wollen eben immer das Beste für ihre Freunde.
»Ich bin froh, dass du mir zustimmst«, sagte er steif. Sie hob den Blick, ihre kornblumenblauen Augen strahlten. »Wenn es das ist, mein Junge, kein Problem.
Du hast nur noch nicht den Nerv gehabt, es dem Professor mitzuteilen, stimmt’s?«
»Ja, in dieser Hinsicht bin ich ziemlich feige.« David stieß ihm einen Ellbogen in die Rippen und Nefrets Lächeln verlor sich. »So hab ich das nicht gemeint. Du möchtest ihm nicht wehtun, hm?«
»Genau«, brummelte Ramses.
»Das geht uns allen so«, versicherte Nefret. »Weil wir ihn lieben. Aber früher oder später muss er die Tatsache akzeptieren, dass du – und David und ich – Persönlichkei ten mit eigenen Zielen und Lebensvorstellungen sind.«
»Und, was schwebt dir so vor?«, erkundigte sich Ramses.
Sie zuckte mit den Achseln und lächelte. »Eigentlich hab ich alles, was ich mir wünsche. Eine Arbeit, die ich liebe, eine Familie, die weltbesten Freunde … Ach übrigens, ich helf dir, wenn du beim Professor Überzeugungsarbeit leisten musst. Wir werden dich natürlich vermissen, nicht, David? Aber es ist ja nur für ein Jahr.«
Sie sprang auf. »Überlass alles Weitere mir. Als Erstes rede ich mit Tante Amelia. Dann gehen wir mit vereinten Kräften auf den Professor los! Schlimmstenfalls fange ich an zu weinen. Das zieht immer bei ihm.«
Er hatte sich ebenfalls erhoben, so dass sie nur Zentimeter voneinander entfernt standen. Sie streckte die Hand aus, als wollte sie ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfen. Darauf wich er einen Schritt zurück und murmelte: »Danke, aber ich brauche keinen, der die Probleme für mich löst. Ich werde es Vater heute nach dem Abendessen sagen.«
Sie ließ ihre Hand sinken und lief errötend aus dem Zimmer.
»Ramses«, setzte David an.
»Halt den Mund.«
»Das werd ich verdammt noch mal nicht tun«, entrüstete sich David. »Sie wollte dir in ihrer liebenswerten, zuvorkommenden Art helfen und du bügelst sie glatt nieder. Was hast du denn erwartet? Dass der Gedanke an eine einjährige Trennung von dir Knall auf Fall eine glü hende Leidenschaft entfachen würde? So funktioniert das nicht.« Nach einem Moment fügte er hinzu: »Los, scheuer mir eine, wenn du dich dann besser fühlst.«
Ramses lockerte die geballten Fäuste und wandte sich zum Schreibtisch. Er öffnete eine Schublade, wühlte nach Zigaretten.
»Tut mir echt Leid für dich«, murmelte David. »Aber wenn du deine Empfindungen ständig unterdrückst, gehst du irgendwann hoch wie eine Rakete. Teufel noch, Ramses, du bist gerade mal zwanzig, deine Familie rechnet doch gar nicht mit einer Heirat. Lass dir einfach mehr Zeit.«
»Der Optimist in allen Lebenslagen. Du kapierst das eben nicht. Du willst schließlich nichts von ihr. Und was ich will, ist dir wohl egal?« Er hielt David das Päckchen hin, worauf der sich eine Zigarette nahm
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