Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
würden sie einen anfunkeln und anblitzen.
Langsam, wie in Trance, traten wir den Rückweg durch den Gang an und stiegen die Treppe hinauf. Wie muffig und abgestanden die Luft in den unterirdischen Gefilden gewesen war, realisierte ich erst, als ich eine kühle Brise auf meinen Wangen spürte. Niemand sagte etwas. Das Wunder der Entdeckung hatte uns die Sprache verschlagen. Das Grab war zwar in der Frühzeit ausgeraubt worden, aber es war genug geblieben, um von einem einzigartigen Fund zu sprechen – das erste Königsgrab mit einer Fülle intakter Grabbeigaben.
Der Professor ging voraus, Sethos und Ramses hinter mir. Als Emerson unvermittelt loswetterte, erschrak ich dermaßen, dass ich taumelte und gegen unseren Sohn prallte. Der stöhnte schmerzvoll auf, geriet aber gottlob nicht aus dem Gleichgewicht. Fluchend rempelte Sethos Ramses an, der mir wiederum einen Schubs gab, worauf wir drei die Stufen hochstolperten.
»Was ist denn?«, fragte ich atemlos. »Sind die Ibn Simsahs getürmt?«
Auf den ersten Blick sah es fast so aus, denn Emerson stürzte sich auf eine dunkel gekleidete Gestalt und schüttelte sie wie ein Terrier eine Ratte. Aber dann gewahrte ich die missratenen Brüder, allesamt gefesselt, und hörte eine flehendes Murmeln: »Ich geb auf, ich geb auf. Bitte Professor –«
Er muss sich auf die Zunge gebissen haben, denn sein Betteln mündete in einen spitzen Schmerzensschrei. Ich erkannte die Stimme trotz des kläglichen, kurzatmigen Klangs und des fehlenden Akzents wieder, der besagten Gentleman für gewöhnlich auszeichnete.
»Kevin?«, kreischte ich. »Kevin O’Connell? Was zum Teufel machen Sie denn hier? Ich dachte, Sie wären in London.«
»Tsts, Ihre Ausdrucksweise, Mrs Emerson« frotzelte Kevin, wieder ganz der Alte. Inzwischen schüttelte Emerson ihn nicht mehr. »Wo würden Sie einen Journalisten anders vermuten als am Entstehungsort der vielleicht brisantesten Geschichte dieses Jahres, dieses Jahrzehnts oder –«
Emerson würgte ihn ein letztes Mal und ließ ihn dann fallen wie eine heiße Kartoffel. Kevin plumpste zu Boden und beschloss vorausschauend, dort auch zu bleiben. Die Ibn Simsahs rollten beiseite, machten ihm Platz und starrten ihn fassungslos an. Der Professor atmete tief ein; doch bevor er seinem Zorn Luft machen konnte, meldete sich Ramses zu Wort. Ich drehte mich um. Er war nicht mehr hinter mir.
»Vater. Da ist noch einer.«
»Noch so ein unsäglicher Journalist?«, wollte Emerson wissen.
»Schlimmer.« Ramses kam hinter der verfallenen Wand über dem Grab zum Vorschein und zerrte ein weiteres Individuum auf die Füße. Wir erkannten ihn auf Anhieb wieder. Das Sternenlicht schimmerte auf seiner silberweißen Haarpracht.
»Grundgütiger«, rief ich. »Das ist ja Sir Malcolm! Was machen Sie denn hier?«
»Die Frage kannst du dir sparen«, riet Emerson mit erstickter Stimme. »Die wird allmählich langweilig. Wie viele lungern noch hier rum? Rauskommen, alle rauskommen, wo immer ihr euch versteckt habt. Ein bisschen dalli, wenn ich bitten darf.«
In seiner Stimme lag eine unmissverständliche Schärfe. Und er hatte Erfolg. Zwei weitere Gestalten traten unweit von Grab 55 aus der Dunkelheit und steuerten auf ihn zu.
»Jumana«, entfuhr es mir. Ich hatte die junge Frau an der Stimme erkannt. »Und Bertie?«
»Er ist mir gefolgt«, seufzte Jumana mit einem mordlustigen Blick zu dem jungen Mann.
»Was« – Emerson betonte jedes Wort – »hat … euch … hergebracht?«
Bertie trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich wollte sie davon abbringen herzukommen.«
»Sei still«, fauchte Jumana. Sie straffte ihre schmalen Schultern und lächelte Emerson an. »Dasselbe wie Sie, Professor, schätze ich. Das archäologische Fieber.«
»Du«, pflaumte Emerson sie ungnädig an, »wolltest heute Nacht in das Grab einsteigen?«
»Wieso nicht?«, erwiderte Jumana unbeeindruckt. »Heute Nacht ist es schließlich offen. Bestimmt hätte ich eine der Wachen dazu überreden können, mich hineinzulassen.«
Daran hatte ich keine Zweifel. Mit einer koketten Handbewegung schob sie sich die dunkelglänzenden Haare aus der Stirn. Bertie war nicht der einzige Mann in Luxor, der sich von ihrem hübschen Gesicht und ihrer gertenschlanken Figur bezaubern ließ.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass hier gar keine Wachen postiert sind«, fuhr das Mädchen fort. »Das war ein Glückstreffer. Oder wäre es zumindest gewesen, wenn Bertie mich nicht aufgehalten hätte.«
Auf ihre
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