Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
gestützt, bemerkte er: »Hinter dem Durchlass ist eine etwa fünfzig Zentimeter tiefe Stufe.« Er robbte über den Boden, als wollte er sich hindurchzwängen. Emerson packte ihn am Kragen.
»Hier sind schon genug Idioten herumgetrampelt. Geh du vor, Ramses. Sei vorsichtig, wo du hintrittst.«
»Wie wäre es«, schlug ich vor, »wenn ich als die Kleinste –«
»Gute Güte, Peabody, beherrsch dich«, knurrte der Professor. »Ramses ist leichtfüßig und flink wie eine Katze.«
»Und er klaut nicht wie ein Rabe«, tönte mein Schwager nicht eben leise.
»Aber ich, was?«, versetzte ich schnippisch.
»Ich meinte jemand anders«, sagte Sethos.
»Hmpf«, schnaufte Emerson. »Da, nimm die Taschenlampe mit, Ramses.«
Unser Sohn glitt geschmeidig durch den Spalt und rappelte sich behutsam auf. Ich glaube, er musste den ganzen Prunk erst einmal auf sich wirken lassen. »Sieht aus, als wäre auf der gegenüberliegenden Wand noch eine weitere Öffnung, unter einer der Tragen.« Wir sahen, wie er sich bückte und darunter leuchtete. »Grundgütiger. Dahinter verbirgt sich eine weitere Kammer, vollgestopft mit erlesenen Artefakten und noch chaotischer als diese hier.«
»Das Stück Wand zwischen den beiden Statuen«, meinte Emerson. »Sieh dir das mal genauer an.«
Sein Sohn schaute in die besagte Richtung und fokussierte den Lampenstrahl auf eine bemalte Truhe mit leuchtend bunten, kunstfertig illustrierten Miniaturszenen. Unter leise gehauchten Ahs! und Ohs! umrundete er das Möbelstück.
»Himmel noch, heb dir deine Begeisterungsstürme für später auf«, knurrte Emerson. »Und sieh dir gefälligst diese Wand an!«
Da schwante es mir. Das würde selbst die Entdeckung des zweiten Raums mit seinen Schätzen in den Schatten stellen. Denn was sollten die edlen Wächter anderes bewachen als den Leichnam des Gottkönigs? Befand sich seine Grabkammer demnach hinter dieser bewusst schmucklos gehaltenen Wand?
»Deine Instinkte haben dich wie üblich nicht getäuscht, Vater«, berichtete Ramses. »Da ist tatsächlich ein verputzter und versiegelter Durchlass. Sämtliche Siegel sind intakt.«
Darauf wies Emerson ihn an: »Schau mal hinter den Korb und den anderen Krempel, der sich an der Wand stapelt.«
Der fragliche Korb war rund und von beachtlicher Größe und thronte auf einem Berg getrockneter Binsen. Vorsichtig, mit beiden Händen, hob Ramses ihn hinunter und schob das Riedgras beiseite.
Dahinter befand sich zwar keine Öffnung, aber selbst auf die Entfernung hin wurde erkennbar, dass das Mauerwerk beschädigt war. Die äußere Schicht Verputz fehlte – und der Fugenmörtel zwischen den Steinen. Ganz ohne Zweifel waren sie entfernt und dann hastig wieder eingesetzt worden.
»Verflixt und zugenäht«, schnaubte Emerson. »Carter.«
»Wieso?«, wandte ich ein. »Es könnten doch auch damalige Diebe gewesen sein.«
»Dann hätten die Priester die Öffnung wieder einwandfrei verschlossen«, erklärte Emerson. »Das hier ist neueren Ursprungs, und deshalb können wir die Prozedur guten Gewissens wiederholen. Nimm die losen Steine raus, Ramses, und wirf mal einen Blick rein. Was siehst du da?«
Eine kurze Weile später sagte Ramses mit ehrfürchtig gesenkter Stimme: »Es sieht aus wie eine massiv goldene Wand.«
Emerson konnte sich nicht mehr beherrschen. Schwer atmend zwängte er sich durch das Loch und robbte zu der nördlichen Wand. Da er es mir nicht explizit verboten hatte, folgte ich ihm. Ich blinzelte durch den erneut freigelegten Spalt und spähte allem Anschein nach auf eine goldene Fläche, die fast bis zur Decke reichte und nur einen schmalen Durchgang frei ließ.
»Was ist das?«, ereiferte ich mich.
»Ein Begräbnisschrein.« In Hockstellung spähte Emerson durch die Luke. »Siehst du die Türen? Und hier waren diese Halunken auch schon«, setzte er heftig hinzu. »Im Staub sind Fußabdrücke.«
»Dann können wir es ihnen genauso gut gleichtun«, schlug ich vor.
»Die Öffnung ist zu klein für mich«, seufzte mein Göttergatte. »Und ich habe weiß Gott nicht vor, sie zu vergrößern.«
»Emerson.« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Der Angesprochene drehte sich grinsend zu mir um. »In Ordnung, Peabody. Meinen Segen hast du.«
Mit angehaltenem Atem betrat ich den Boden der inneren Kammer, die etwas tiefer lag als die vorangegangene. Vor mir erhoben sich zwei vergoldete Türen, geschmückt mit dekorativen Hieroglyphen auf einem Untergrund aus blauer Fayence. Sie waren mit einem
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