Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
Burschen haben auf der Lauer gelegen, und die sind nicht eben zimperlich.«
Bei diesen letzten Worten schoben sich Lord Carnarvon und Lady Evelyn aus der Graböffnung. Gefolgt von einem weiteren kongenialen Gefährten, nämlich Pecky Callender. »Hören Sie, Emerson –«, hob er an.
»Nein, jetzt rede ich.« Der Professor baute sich vor ihm auf. »Leute wie Farhat Ibn Simsah lauern hier hinter jedem Felsbrocken. Ist Ihnen das nicht klar? Ohne entsprechendes Wachpersonal hätten Sie niemals herkommen dürfen. Aber dann hätte es Zeugen gegeben, die Ihren unzulässigen Einstieg in das Grab mitbekommen hätten, nicht wahr?«
Lord Carnarvon war wieder zu Atem gekommen. Er richtete sich zu seiner vollen Länge auf und musterte Emerson herablassend, jeder Zoll der britische Aristokrat. »Ich verbitte mir Ihren Ton, Professor Emerson«, meinte er gedehnt.
»Das interessiert mich einen feuchten Dreck«, gab der Vater der Flüche zurück.
»Emerson«, murmelte ich.
Meine leise Warnung zeigte keine Wirkung. Mein Gemahl hatte sich in Rage geredet. »Ich tippe darauf, dass Sie genügend Steinquader entfernt haben, um die Grabkammer betreten zu können, stimmt’s? Was alles haben Sie dabei unwiederbringlich zerstört – und was alles haben Sie entwendet?«
Carnarvon bot Lady Evelyn höflich seinen Arm. »Solche Fragen stehen Ihnen nicht zu, Sir. Gute Nacht.«
Emerson deutete mit dem Finger auf ihn, seine Stimme grollend wie die einer erzürnten Gottheit. »Was haben Sie denn da in Ihren verdächtig ausgebeulten Taschen, Lord Carnarvon?«
Ramses und ich vermochten ihn zu bremsen, bevor er den ehrenwerten Gentleman verfolgte, der schleunigst einen würdevollen Abgang zelebrierte. Wenn Emerson den Herrn gefilzt hatte, hätten wir bestimmt ernsthafte Probleme bekommen. Die Situation war auch so schon verfahren genug. Einmal in sicherer Entfernung drehte Carnarvon sich um. »Sie sind hier nicht mehr erwünscht, Professor. Bleiben Sie dem Grab fern. Für mich sind Sie ab jetzt persona non grata!«
Er stapfte davon, gefolgt von Carter und Callender und Emersons lautstarken Kraftausdrücken.
»Jetzt hast du es endlich geschafft«, zeterte ich. »Wir werden dieses Grab künftig nie wieder betreten dürfen.«
Kleine Ausbrüche wie dieser wirken regelrecht befreiend auf Emerson. Seine makellosen weißen Zähne formten sich zu einem jovialen Grinsen, und er sagte: »Demnach sollten wir die Gelegenheit beim Schopfe pakken.«
Wir nahmen den beiden Ibn Simsahs die Messer weg und ließen sie gefesselt zurück. Wegen der Hektik (und – wie ich meine – seines Gewissenskonfliktes) hatte Howard vergessen, das Holzgitter zu verschließen. Während wir uns durch den Gang nach unten tasteten, kritisierte ich meinen Gemahl: »So hättest du mit Lord Carnarvon nicht umspringen dürfen, Emerson.«
»Pah«, schnaubte Emerson. »Früher oder später wäre es sowieso zum Eklat gekommen.«
»Du hast ihm sämtliche Geißeln der Menschheit an den Hals gewünscht, und er sollte in der Hölle schmoren!«
Emerson entfuhr ein gequältes Stöhnen. Nicht aus Reue, sondern aus Bestürzung über den Anblick, der sich ihm im Schein der Taschenlampe bot: ein breit gähnendes Loch am Fuß des ehemals vermauerten Durchlasses.
»Darauf warst du doch sicherlich gefasst«, drang die kühle Stimme von Sethos aus dem Hintergrund.
»Ich hoffte immer noch, ich hätte mich getäuscht«, muffelte Emerson.
»Mal ganz ehrlich, Bruderherz«, fuhr Sethos fort. »Welcher Ägyptologe hätte da widerstehen können?«
»Spar dir deine konstruktiven Kommentare«, knirschte der Professor. Er hielt die Taschenlampe in die Öffnung und tastete mit dem Lichtkegel die Kammer ab.
Das grenzenlose Wunder der Kammer offenbarte sich uns in einer Folge facettenartiger Visionen. Es dauerte nämlich eine Weile, bis das Auge die sonderbaren Formen und harten Schatten gezielt wahrnahm: sich überlappende Halbkreise, vermutlich Wagenräder; drei große, vergoldete Grabsänften mit grotesken Tierköpfen, auf denen sich zahllose andere Artefakte stapelten. Was den Blick jedoch magisch anzog, waren zwei lebensgroße Statuen an der rechten Wand, die sich wie Wächter frontal gegenüberstanden. Ihre Gesichter waren mit Bitumen geschwärzt, Kleidung und Regalien kunstfertig vergoldet. Die drohend gereckte Uräusschlange auf ihrer Stirn schien bereit, den Pharao in jeder Gefahrensituation zu verteidigen.
Selbst der unerschütterliche Sethos war beeindruckt. Auf Hände und Knie
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