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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Molden
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Kopf, bei Rock und West’, den Wilhelm und den Ludewig…‹«
    »Der Ludewig…« Uli grinste, trat zu Amelie, nahm ihr das Buch aus der Hand und wog es, als wollte er sein Gewicht prüfen. »Toller Bestseller, das.« Sein Gesicht wurde wieder grimmiger. »Der Söhnke muss erst noch einen schreiben.« Verärgert griff Amelie nach dem Struwwelpeter , doch Uli hielt ihn fest und fuhr unbarmherzig fort. »Seit zehn Jahren schreibt er an seinem Roman, der Cherusker. Vielleicht schreibt er noch weitere zehn Jahre dran. Bis dahin seid ihr beide, Gott behüte, verheiratet, habt zwei Kinder und ödet euch an. Er ist immer noch im selben Archiv, hat vielleicht ein Verhältnis mit seiner Sekretärin, weil die im Gegensatz zu dir weder bitter noch grau geworden ist und ihn toll findet…«
    »Hör doch endlich auf, warum musst du ihn mir noch madiger machen, als er eh schon ist!« Erschrocken schlug Amelie die Hand vor den Mund. Und Uli hakte nach.
    »Siehst du, genau das meine ich.« Seine Stimme war wieder ruhig und sein bewegliches Gesicht ernst geworden. »Der Mann geht dir auf den Geist. Du bist unzufrieden, du willst raus aus der Fadesse.« Sanft nahm er ihr den Struwwelpeter aus der Hand. »Ami, mein Hühnchen, mach dieser lauen Liaison endlich den Garaus. Die Zeit bleibt nicht stehen, mach dich frei, jetzt oder nie. Glaub mir, du hast Tolleres verdient.«
    Amelie strich über seinen Arm. »Uli, mein Hähnchen«, das Lächeln, das sie zustande brachte, geriet schief, »ich weiß, dass der Hermann nicht das Gelbe vom Ei ist und dass die Zeit rennt.« Sie widerstand der Versuchung, ihm vom Mann mit den Galoschen zu erzählen und fuhr fort: »wenn du mir sagst, wo ich was Tolleres finde…?«
    Uli stand vor ihr, den Struwwelpeter wie ein Gebetbuch zwischen beiden Händen. »Erst mach Schluss, mein Mädel, dann geh’ ich mit dir auf Brautschau…« Er verstummte, wusste sichtlich nicht mehr, was er noch sagen sollte. »Ich hab mein Pulver verschossen«, gestand er, »ich gehe jetzt heim zu Ludwig. Koffer auspacken. Du weißt ja, ich bin fürs Subalterne in unserem Haushalt zuständig.« Er blätterte im Struwwelpeter bis er fand, was er suchte – die Seite, auf der die tintenschwarzen Buben hinter dem weitaus helleren Mohren einhermarschieren, mitten drin der schieche Ludwig mit seinem Fähnchen – und lachte vergnügt wie ein Kind. »Pack’s mir bitte ein. Du hast Recht, es wird ihn freuen, den Ludewig.«
    Als Uli gegangen war, blieb Amelie an der Eingangstür stehen, presste die Nase gegen das Glas und versuchte nachzudenken. »Schluss machen, Schluss machen«, sagte sie vor sich hin und horchte den lang gezogenen Zischlauten nach. Sie ging zu ihrem Schreibtisch, fuhr mit den Fingerkuppen über die Platte und ertastete die Maserung des Holzes. »Die Kette durchbrechen, alles andere ergibt sich.« Sie räusperte sich und sah auf die Uhr. »Viertel vor sechs. Heute kommt keiner mehr. Zusperren und Hendl kaufen«, befahl sie sich laut.
    Als Amelie sich streckte, um den Rollbalken herunterzuziehen, fiel ihr Blick auf die Auslage. Sie hatte August vergessen. Schnell sperrte sie noch einmal auf, nahm die Puppenstube aus dem Fenster und hob den Bären aus seinem Stühlchen. »Was gebe ich denn dir heut mit für die Nacht?« Sie hielt den massigen Teddy vor sich hin und sah in seine runden goldbraunen Glasaugen. »Augustle, ich bin durcheinander, und mein Schädel brummt«, seufzte sie. Plötzlich begann sie zu kichern. Liebevoll setzte sie den Bären ins Schaufenster, holte den Brummkreisel, den sie kürzlich bei einer Auktion in Heidelberg ersteigert hatte, und positionierte ihn gefällig zwischen Augusts Vorderpfoten.

3
    Das Huhn war missglückt. Die Haut war weder knusprig noch braun, sie war milchkaffeefarben und blieb wie ein alter Lappen am Gaumen kleben. Der Reis war gatschig. Und der Salat litt schon im Laden an Altersschwäche. Amelie hatte nach wenigen Bissen ihren Teller fortgeschoben. Hermann hingegen futterte mit Hingabe. Amelie sah ihm schweigend zu. Enorm, was der Mensch verdrücken kann, dachte sie und betrachtete ihn kritisch. Magen, Bauch und Hüften leicht schwellend, Schultern langsam sackend, Wangen tendenziell hängend. Haar fliehend, das Blau der Augen wässriger als früher, nur die Hände schön wie einst…
    Hermanns Hände waren das Erste gewesen, was sie an ihm gefesselt hatte. Einsam, schüchtern, aber zu einem neuen Anfang finster entschlossen, hatte Amelie vor neun Jahren das Wiener

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